- Fokus: Humor
«Das Absurde ist meine Überlebensstrategie»
Er räumt Kunst auf, ordnet das Herbstlaub nach Farben und treibt mit seiner Bühnenpartnerin Nadeschkin Wortspiele auf die Spitze. Doch das Absurde ist für Komiker Ursus Wehrli mehr als ein Element seiner Arbeit.
10.06.2025

Als Solokünstler bekannt geworden sind Sie 2002 mit dem Projekt «Kunst aufräumen», nun machen Sie schon seit über 20 Jahren Ordnung. Warum ist das noch immer spannend?
Ich glaube, je simpler und universaler eine Idee ist, desto länger hält sie. Das Aufräumen kennt jedes Kind, und Ordnung ist eines der grössten Themen auf der Welt. Denn letztendlich unterliegt alles einer Ordnung, die Frage ist nur: welcher Ordnung? Das Laub, das im Herbst von den Bäumen fällt, ist in unseren zivilisierten Augen ein Chaos, das man wegwischen muss. Doch dabei vergessen wir manchmal, dass auch das Herbstlaub einem Zyklus unterliegt: Jedes Jahr fällt es zu Boden, zersetzt sich und liefert damit wiederum Nährstoffe für die Bäume; es ist ein klar geregelter Kreislauf. Die Natur ist eine extrem organisierte, reglementierte Angelegenheit, auch wenn sie manchmal chaotisch wirkt. Dieses Zusammenspiel von Ordnung und Chaos fasziniert mich.
Sie haben das Aufräumen stetig weiterentwickelt, von den Kunstbildern über Alltagssituationen bis hin zur Neuinterpretation komplexer Szenerien. Wie entscheiden Sie, wo Sie aufräumen möchten und wann Ordnung hergestellt ist?
Ich gehe dabei sehr intuitiv vor, sowohl bei der Auswahl als auch beim Aufräumen. Bei den Kunstbildern spielt das Haptische eine grosse Rolle; ich schiebe die ausgeschnittenen Elemente vor mir hin und her, bis es für mich «klick» macht. Meist geht das relativ schnell, es gibt aber auch Bilder, bei denen ich die richtige Ordnung erst ein halbes Jahr später oder gar nie finde. Und manchmal merke ich, dass sich die Ordnung nicht rein grafisch-optisch umsetzen lässt, sondern dass ich etwas stärker abstrahieren muss. So habe ich beispielsweise aus der Pelztasse von Meret Oppenheim eine Tasse und einen Hasen gemacht. Eigentlich hatte ich nie vor, das Aufräumen so lange weiterzuführen, aber das Thema lässt sich immer weiterdenken. Nach den Alltagssituationen – etwa der Buchstabensuppe oder der Badewiese – habe ich gemerkt, dass ich noch viel weiter rauszoomen und komplexere Situationen inhaltlich aufräumen kann. Die Bilder im Buch «Welt aufräumen» erzählen längere Geschichten, man muss um zwei, drei Ecken denken.
Genau, da werden die Punks im Hinterhof zu Geschäftsleuten, die lebensfrohe Sippe zu einer etwas steifen Familie, der Kindergeburtstag zur Beerdigung. Das Chaos wirkt vielerorts sympathischer als die Ordnung. Ist dies eine Botschaft?
Nein, ich möchte nicht werten. Für mich als kreativ denkenden Menschen ist das Chaos viel interessanter, neue Ideen entstehen immer aus dem Chaos, und ich mag auch den Zufall. Aber nur im Chaos möchte ich auch nicht leben, denn Ordnung hat auch etwas sehr Schönes, Befriedigendes. Es braucht beides. Und wenn es zu extrem wird, dann sind weder Ordnung noch Chaos gut.
Im Zusammenhang mit diesen Bildern aus «Welt aufräumen» staune ich aber über gewisse Parallelen zur Realität. Ganz nüchtern und ohne Wertung betrachtet, macht der ältere Herr in Amerika nichts anderes als Ordnung. Wie ein Kind, das sein Zimmer aufräumt, hat er das Gefühl, er könne nun die Welt aufräumen. Leider ist es aber nicht so simpel.
Im Gegensatz zu den Kindern, die ihr Zimmer aufräumen müssen, machen Sie nur dort Ordnung, wo es sinnlos ist. Was fasziniert Sie am Sinnlosen und Absurden?
Für mich sind der Humor, das Sinnlose und das Absurde eine Überlebensstrategie. Wir Menschen geben uns zwar Mühe und versuchen, vieles richtig zu machen, aber letztendlich sind wir doch etwas hilflose Kreaturen, die nie perfekt sind. Mich befreit es wahnsinnig, wenn ich sinnlose, absurde und schräge Zusammenhänge entdecken und darüber lachen kann. Natürlich ist das Absurde keine Lösung für alles, aber wenn ich die Geschehnisse in dieser Welt stets völlig ernsthaft verfolgen würde, wären manche Sachen kaum auszuhalten und würden mich wahnsinnig hilflos und traurig machen. Humor hilft, Abstand zu gewinnen und die Wichtigkeit und Wertigkeit des Lebens ein wenig zu verändern. Irgendwann habe ich gemerkt, dass das etwas ist, was ich brauche und was ich gut kann. Und wenn es ein paar anderen Leuten auch Freude bereitet, dann ist es natürlich umso schöner.
Sie treten nicht nur als Solokünstler auf, sondern gemeinsam mit Nadja Sieger auch als Duo «Ursus & Nadeschkin». Ist es da manchmal auch schwierig, humoristisch auf einen Nenner zu kommen?
Grundsätzlich haben wir ähnliche Vorstellungen von Humor. Gewisse Formen, beispielsweise das Parodieren anderer Menschen, interessieren uns nicht. Da machen wir uns lieber über uns selbst lustig. Aber natürlich müssen wir auch Kompromisse eingehen. Wenn wir ein neues Programm ausarbeiten, gibt es immer wieder Pointen oder Szenen, die eine Person lustig findet und die andere etwas weniger. Können wir beide dahinterstehen, lassen wir diese Szenen für die Testvorstellungen im Programm und schauen, wie das Publikum reagiert. Diese Tests vor Publikum sind ohnehin sehr wichtig für uns und gleichen einem physikalischen Experiment: Wir probieren vieles aus, improvisieren, machen etwas völlig Unpassendes. Und manchmal ist das genau das Richtige und es gibt eine Explosion – und manchmal nicht.
Können Sie jeweils sagen, woran es liegt, wenn das Publikum nicht lacht?
Häufig können wir nachvollziehen, warum etwas nicht funktioniert hat. Oft liegt es daran, dass wir die Leute zu wenig mitgenommen und ihnen zu wenig erklärt haben. Das schätze ich übrigens sehr an diesem Beruf: Man bleibt sehr bodenständig und kann nicht abheben, denn man muss immer beim Publikum anfangen und die Menschen mitnehmen. Manchmal gibt es aber auch magische Momente, in denen die Leute lachen – und wir wissen beide nicht, warum. Aber das ist ja auch das Schöne am Humor: Ein Stück weit bleibt er ein Mysterium.
Zur Person
Ursus Wehrli, Jahrgang 1969, ist Linkshänder, gelernter Typograf und wechselt gern die Perspektive. Seit 1987 steht er zusammen mit Nadja Sieger als Komikerduo «Ursus & Nadeschkin» auf der Bühne und wurde in dieser Konstellation mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommiertesten Theaterpreis der Schweiz, dem «Hans-Reinhart-Ring», dem «New York Comedy Award» und dem «Salzburger Stier». Steht Ursus nicht mit Nadeschkin auf der Bühne, dann räumt er auf: Kunst, den Alltag, die Welt und alles andere. Seine Bücher wurden mittlerweile in 17 Sprachen übersetzt und weltweit über eine halbe Million Mal verkauft.
