- Fokus: Wahnsinn
Zusammenhänge zwischen psychischen Störungen und Gewalt
Menschen mit Schizophrenie haben zwar ein erhöhtes Risiko, gewalttätig zu werden. Sie deswegen zu stigmatisieren, ist jedoch der falsche Weg.
09.12.2025
Gewaltstraftaten machen uns betroffen und fassungslos. Ein Versuch, psychologisch mit den Gefühlen umzugehen, die solche Taten auslösen, ist es, die Täterinnen und Täter als nicht normal und psychisch krank zu bezeichnen. Im ersten Moment scheint eine solche Interpretation hilfreich: Die Gefahr, schicksalhaft von einem schweren Gewaltverbrechen betroffen zu werden, scheint besser kontrollierbar, wenn der Kreis der potenziell gefährlichen Personen eingegrenzt und an bestimmten Merkmalen identifizierbar gemacht werden kann. In einem zweiten Schritt liegt dann die Überlegung nahe, dass man mit einer solchen Personengruppe nur richtig umgehen müsste (z. B. therapieren oder wegsperren), um sich vor Gewalt zu schützen.
Die aktuelle Diskussion nach mehreren schweren Gewaltstraftaten in Deutschland, ob die Erfassung psychisch kranker Menschen in einem zentralen Register ein geeignetes Mittel der Gewaltprävention sein könnte, spitzt die Problematik zu [1]. Dabei wird sowohl verkannt, dass der Grossteil von Gewaltstraftaten von Menschen begangen wird, die nicht psychisch krank sind [2], als auch, dass die Mehrheit psychisch kranker Menschen keine Gewaltstraftaten begeht [3].
Schizophrenie und Gewalt
Bei der Diskussion um Gewaltstraftaten psychisch Kranker stehen insbesondere Menschen mit einer Schizophrenie im Fokus. Dies zum einen, weil sie tatsächlich ein im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung und im Vergleich zu Menschen mit anderen psychischen Erkrankungen erhöhtes Risiko haben, straffällig zu werden [4]. Und zum anderen, weil ihre Straftaten oft aus einer schwer einfühlbaren Wahrnehmung und inneren Welt resultieren, was diese besonders unberechenbar und sinnlos erscheinen lässt.
Menschen, die von Schizophrenie betroffen sind, gehören zu einer Patientengruppe, die stark stigmatisiert ist, auch bei medizinischen und psychiatrischen Fachpersonen [5]. Entsprechend schwer fällt vielen Betroffenen die Akzeptanz der Diagnose Schizophrenie. Als forensische Psychiaterin erlebe ich oft, dass Betroffene lieber eine andere, weniger stigmatisierte Diagnose hätten, z. B. Persönlichkeitsstörungen, Depressionen oder ADHS. Man sollte sich vergegenwärtigen, dass schizophrene Menschen es sich nicht aussuchen, aggressiv, gewalttätig oder kriminell zu werden. In den allermeisten Fällen geraten sie durch ihre Erkrankung in einen (akuten oder chronischen) Zustand, in dem sie von Krankheitssymptomen, veränderter Gefühlswahrnehmung und Erregung getrieben sind und ihr Verhalten nicht mehr steuern können. Gewalttätiges Verhalten schizophrener Personen entspricht in diesem Licht betrachtet einer dramatischen Krankheitskomplikation, vergleichbar einer Aortenruptur oder einem Schlaganfall bei schwerer Arteriosklerose.
Spezielle Deliktdynamiken bei Menschen mit einer schizophrenen Erkrankung
Dabei ist Gewalt immer ein multifaktorielles Geschehen, auch bei schizophrenen Menschen. So vielfältig wie das Erscheinungsbild schizophrener Erkrankungen sind die Wege betroffener Personen in die Delinquenz. Einige typische Deliktdynamiken sollen an dieser Stelle dargestellt werden:
- Akute, als subjektiv überwältigend erlebte paranoid-halluzinatorische Symptomatik, Ich-Störungen und Wahnvorstellungen sowie die damit verbundenen Affekte von Angst und Wut sind oft bei impulsiven Gewaltstraftaten schizophrener Menschen zu beobachten. Nicht selten finden sich akute psychomotorische Erregungszustände, Situationsverkennungen und die vermeintliche Notwendigkeit von Notwehr [7]. Diese Dynamik kann sich auch kurz nach Erkrankungsbeginn bei bis dahin prosozialen Personen entwickeln, was dann besonders erschütternd und unfassbar auf das Umfeld wirken kann.
- Sorgfältig geplante Gewaltstraftaten hingegen können unter dem Einfluss eines systematischen Wahns entstehen. Chronische Wahnsysteme sind teilweise durchsetzt mit weltanschaulichen Überzeugungen und wirken deshalb manchmal «persönlichkeitsnah». Im Zusammenhang mit politischen und/oder religiösen Ansichten ist es oft schwierig, zwischen wahnhafter und extremistischer Motivation zu unterscheiden. Neben dem psychopathologischen Gesamtbild ist dabei die fehlende oder dysfunktionale Einbindung (z. B. im Sinne einer Instrumentalisierung) in entsprechende weltanschauliche Communitys richtungsweisend.
- Zwischen der Störung des Sozialverhaltens im Kindesalter und späteren Schizophrenien gibt es einen epidemiologischen Zusammenhang [6]. Entsprechend zieht sich bei manchen Personen dissozial-gewalttätiges Verhalten als eingeschliffenes Verhaltensmuster durch das gesamte Leben, sowohl vor dem Ausbruch einer schizophrenen Erkrankung als auch im späteren Verlauf der Krankheit. Manchmal spielen hierbei auch besonders früh einsetzende, schleichende schizophrene Krankheitsverläufe eine Rolle, die früh zu Defiziten der sozialen Leistungsfähigkeit und entsprechenden Verhaltensauffälligkeiten führen.
- Bei einigen Personen kann in der Folge jahrelanger chronischer Erkrankung eine ungünstige Wechselwirkung zwischen zunehmender psychosozialer Desintegration und nachlassender Urteilsfähigkeit, Persönlichkeitsverfall und Auflösung früher handlungsleitender Wertvorstellungen eintreten, die schliesslich zu kriminellem Verhalten führt.
Unterstützung für Hochrisikopatientinnen und -patienten
Wir kennen in der forensischen Psychiatrie das Profil der Schizophrenie-Patientinnen und ‑Patienten, die ein besonders hohes Risiko schwerer Gewaltstraftaten haben: Es sind Personen mit mangelnder Krankheitseinsicht, fehlender Therapiemotivation und Non-Compliance, chronischem Krankheitsverlauf, hoher Impulsivität sowie mit Substanzkonsum. Gerade diese Personen sind mit modernen, auf eine aktive Mitgestaltung durch die Betroffenen ausgerichteten Behandlungsangeboten oft schwer zu erreichen, und sie sind im psychiatrischen Versorgungssystem oft ähnlich wie im gesellschaftlichen Alltag störend. Wir beobachten momentan in der Schweiz eine Entwicklung, bei der Hochrisikopatientinnen und -patienten vermehrt durch die Maschen des allgemeinpsychiatrischen Versorgungssystems fallen und oft erst im Rahmen einer juristisch angeordneten Therapie (z. B. stationäre Massnahme nach Art. 59 StGB) in eine kontinuierliche störungsspezifische Behandlung eingebunden werden können. Das ist aus risikoorientierter Sicht stossend, weil eine effiziente Behandlung so erst erfolgt, nachdem die Betroffenen straffällig geworden sind. Hier wäre eine vermehrte Sensibilisierung der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden wünschenswert, um zivilrechtliche Mittel auszuschöpfen und so Patientinnen und Patienten in eine konsequente störungsspezifische Behandlung einzubinden. Eine weitere wichtige Option ist die vermehrte systematische Zusammenarbeit zwischen forensischer Psychiatrie und Allgemeinpsychiatrie. Ein mögliches Modell einer solchen präventiven Zusammenarbeit wurde im Kanton Zürich von der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich etabliert [8]. Um ein solches Angebot auch in anderen Kantonen zu realisieren, bedürfte es des politischen Willens und der entsprechenden finanziellen und personellen Ressourcen.
Literatur
- DGPPN (2025) Pressemitteilung vom 7.1.2025: Kein Zentralregister für psychisch kranke Menschen.
- Kröber H-L (2016) Gewalttaten psychisch Kranker. Forens Psychiatr Psychol Kriminol 10:227–232.
- Whiting D, Lichtenstein P, Fazel S (2021) Violence and mental disorders: a structured review of associations by individual diagnoses, risk factors, and risk assessment. Lancet Psychiatry 8(2):150–161.
- Schanda H (2018) Schizophrenie und Gewalt – Justiz und Gesellschaft. In: Stompe T, Schanda H (Hrsg.), Schizophrenie und Gewalt. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin.
- Arens EA, Berger C, Lincoln TM (2009) Stigmatisierung von Patienten mit Schizophrenie. Nervenarzt 80:329–339.
- Hodgkins S (2008) Violent behaviour among people with schizophrenia: a framework for investigations of causes, and effective treatment, and prevention. Phil. Trans. R. Soc. B, 363, 2505–2518.
- Prüter C (2010) Tatbilder schizophrener und wahnhafter Täter. Forens Psychiatr Psychol Kriminol 4:136–142.
- Schmidt C, Nitschke J, Habermeyer E (2021) Forensische Modelle zur Gewaltprävention an der Schnittstelle zur Allgemeinpsychiatrie: der forensisch-psychiatrische Konsildienst. Forens Psychiatr Psychol Kriminol 15:214–221.