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Kühle Städte für einen kühlen Kopf
In dicht bebauten Gebieten kann es bis zu zehn Grad heisser werden als in der Umgebung. Architektonische Lösungen wirken dem entgegen: Sie kühlen die Stadt und erhöhen die Lebensqualität. Alle Probleme lassen sich damit jedoch nicht lösen.
12.08.2025
Wer an einem Sommerabend aus dem Umland in die Stadt zurückkehrt, bekommt den Hitzeinseleffekt physisch zu spüren. Die Beschaffenheit der Städte mit deren hohem Anteil an versiegelten Flächen und verhältnismässig wenig Grünflächenanteilen, gepaart mit der Abwärme von Gebäuden und Verkehr, tragen zur Überhitzung der Stadt bei. Jede Stadt offenbart sich als Ort mit erhöhter Temperatur gegenüber ihrem Umland, was gemeinhin als Hitzeinsel bezeichnet wird. Sämtliche massiven Materialoberflächen werden dabei zu Wärmespeichern, die sich tagsüber aufwärmen und ihre Wärme nachts kontinuierlich abgeben. Eine gewisse Abhilfe schaffen einzig Luftströmungen, die die Wärme abtransportieren und so zu einer schnelleren Abkühlung beitragen. Im Vergleich zu weniger dicht besiedelten Gebieten kann in Innenstädten eine um bis zu zehn Grad Celsius erhöhte Temperatur herrschen – auch in der Nacht [1].
Aufwendige Optimierung oder ungenügender Status quo?
Städte reagieren sensibel auf den Klimawandel und stellen damit die Disziplinen der Architektur und des Städtebaus vor enorme Herausforderungen. Diese erstrecken sich von der Umsetzung neuer Rahmenbedingungen bei Neubauten bis hin zur baulichen Ertüchtigung ganzer Quartiere und Stadtteile.
Ziel all dieser Bestrebungen ist es, ein Mikroklima in unseren Häusern und Städten zu schaffen, das dem Wohlbefinden der darin lebenden Menschen zuträglich ist. Dies zu erreichen, ist aufgrund der Vielzahl an ineinandergreifenden Faktoren selbstredend komplex. Zudem ist stets eine Abwägung zu treffen zwischen einer aufwendigen Optimierung, die den Klimawandel aufgrund der damit verbundenen höheren Emissionen weiter anheizt, und der Akzeptanz des in gewissen Belangen unzureichenden Status quo. Das Bauen – selbst unter Verwendung nachhaltiger Materialien – setzt bei der Erstellung, dem Transport und der Entsorgung von Baustoffen beträchtliche Mengen an CO2 frei. Heute wird deshalb davon ausgegangen, dass die Umweltbelastung durch den Bau eines Gebäudes schwerer wiegt als dessen Betrieb über seine gesamte Lebensdauer.
Aktive Kühlung als letzte Wahl
Um sich dennoch ein Gesamtbild machen zu können, lohnt es sich, die zur Erreichung einer idealen, lebenswerten Stadt erforderlichen Massnahmen genauer zu betrachten.
Die vermeintlich einfachste und effektivste Massnahme stellt die aktive Kühlung von Gebäuden dar. Diese darf jedoch nur in Ausnahmefällen und als letztes Mittel zum Einsatz kommen, da sie getreu den Prinzipien des Wärmetausches letztlich immer zur Aufwärmung der unmittelbaren Umgebung führt und somit eine positive Rückkopplung des Bedarfs an Kühlung verursacht. Insbesondere im dicht besiedelten Raum müssen deshalb alternative Konzepte angewendet werden.
Gezieltes Speichern und Freigeben von Wärme
Durch die Umsetzung gewisser Massnahmen können der Wärmeeintrag und das Aufheizen der Raumluft durch die Sonneneinstrahlung während der Sommermonate gezielt reduziert werden. Dazu gehören die Verschattung der auf das notwendige Minimum reduzierten Fensterflächen und das Einbringen von thermischer Masse in die Bauten. Durch das langsamere Aufheizen dieser thermischen Masse (beispielsweise mineralische Böden und Deckenoberflächen) erwärmt sich die Raumluft weniger schnell, und Temperaturschwankungen werden geglättet.
Dieses Prinzip bedingt, dass in der Nacht durch eine ausreichende Luftzirkulation genügend kühlere Luft nachströmt, die die Wärme aufnehmen und abtransportieren kann. Nur so können diese Oberflächen auch am nächsten Tag wieder Wärme speichern, ohne selbst tagsüber zum Radiator zu werden. Damit diese nächtliche Luftzirkulation funktioniert, müssen geeignete Korridore zwischen unbebauten Flächen rund um die Stadt und den verschiedenen Gebäudegruppen frei bleiben. Diese Luftströme lassen sich zwar heute mittels entsprechender Software gut simulieren. Sie zu sichern, stellt aber angesichts sich verdichtender Städte eine wachsende Herausforderung dar. Es gilt daher, auch lokal Massnahmen zu ergreifen.
Vom Balkongarten zur Schwammstadt
Dazu geeignet sind offene Wasserflächen, Bäume und Grün- oder andere unversiegelte Flächen. Sie alle bringen Wasser zur Verdunstung. Die dazu notwendige Energie wird teilweise der Umgebungsluft entzogen, wodurch sich deren Temperatur absenkt (Verdampfungsenthalpie). Nebst der Temperaturregulierung ist das Prinzip der Schwammstadt auch hilfreich bei der lokalen Speicherung von Regenwasser und entlastet bei den häufiger werdenden Starkregenereignissen die Kanalisation. Der Aussenraum wird dabei permeabel gestaltet, sodass überschüssiges Wasser vor Ort gespeichert wird und bei Hitzeperioden verdunstet.
Die genannten Massnahmen bewirken gleichzeitig eine Aufwertung unserer Innenstädte und Quartiere und erhöhen die Aufenthalts- und Lebensqualität. Öffentliche Grünanlagen und Pärke leisten so auch indirekt einen Beitrag zu unserem Wohlbefinden und unserer Gesundheit.
Angesichts dieser Fülle an Massnahmen und Mitteln, die zu berücksichtigen und umzusetzen sind, wird klar, dass Architektur und Städtebau auch bei grössten Anstrengungen keine Allheilmittel gegen den Klimawandel sein können, dies auch angesichts der ökonomischen Realitäten. Unsere Innenstädte und Quartiere werden sich weiter erwärmen, und es sollte weiterhin alles daran gesetzt werden, die Ursachen des Klimawandels mindestens ebenso stark zu bekämpfen wie dessen Folgen.
Ein Blick in den Süden
Die Mediterranisierung ist also in vollem Gange, und dieses Phänomen macht auch vor Architektur und Städtebau nicht halt. Es lohnt sich deshalb ein Blick in den Süden, wo die bei uns in Jahrzehnten möglicherweise vorherrschenden Verhältnisse bereits heute die Realität sind. Die gute Nachricht: Es gibt zahlreiche Beispiele sehr dichter, lebenswerter Städte.
Der französische Architekt und Städtebauer Fernand Pouillon war nach dem Zweiten Weltkrieg massgeblich am Wiederaufbau Frankreichs beteiligt und hat in Südfrankreich, insbesondere in Marseille, zahlreiche Spuren hinterlassen. Seine Architektur ist insofern interessant, als dass sie aufgrund des zu dieser Zeit allgegenwärtigen Mangels an Material und Mitteln auf das einfach verfügbare Material Naturstein setzt und durch ihre Einfachheit und Reduktion auf das Wesentliche die ihr zugrunde liegenden Prinzipien sehr gut ablesbar macht. Die Bebauung des alten Hafenbeckens etwa demonstriert mit ihren tiefen Loggien, den ausgesprochen dicken Wänden und der hellen Farbgebung der Fassaden exemplarisch, was es bedeutet, mithilfe von Geometrie und Physik kühle Innenräume zu bauen.
Wo diese Prinzipien nicht ausreichend verstanden und umgesetzt wurden und stattdessen generische Fassaden westeuropäischer Architektur vervielfältigt wurden, prangen heute vielerorts Wärmetauscher von Klimaanlagen an den Fassaden. Nicht so bei Pouillons Bauten in Marseille, die auch über 70 Jahre nach ihrer Erstellung ihren Bewohnerinnen und Bewohnern angenehme Innentemperaturen bieten.
Literatur
- Anpassung an die Klimaänderung in Schweizer Städten, BAFU, 2012. https://www.are.admin.ch/are/de/home/medien-und-publikationen/publikationen/staedte-und-agglomerationen/anpassung-an-die-klimaaenderung-in-schweizer-staedten.html (6.6.2025).