- Fokus: Global Health
Eine neue Betrachtungsweise unserer Gesundheit
Planetary Health befasst sich mit den Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Umwelt sowie deren multidimensionalen Auswirkungen auf die menschliche und planetare Gesundheit. Was kann dieses Konzept, das versucht, weiter zu greifen als Public Health, zu unserem Verständnis von Gesundheit und gesunder Umwelt beitragen?
12.08.2025
Die menschliche Gesundheit ist heute in besserem Zustand als jemals zuvor in der Geschichte unserer Spezies: die durchschnittliche Lebenserwartung stieg von 47 auf 69 Jahre innerhalb von nur 50 Jahren, die Kindersterblichkeit verringerte sich um über 70 Prozent im selben Zeitraum. Trotz zunehmender Bevölkerungszahlen leben heute weniger Menschen in extremer Armut als vor 30 Jahren. Diese und viele weitere Erfolge waren nur dank unvergleichlicher Fortschritte in den Bereichen Public Health, Bildung, Menschenrechte, technologische Entwicklung und der Gesundheitsversorgung möglich. Dieser Fortschritt wurde durch ein Fundament aus natürlichen (fossilen) Ressourcen und ökologischen Systemen ermöglicht [1]. Die Ressourcen und Leistungen, die das System Erde zur Verfügung stellt, werden als Ökosystemleistungen bezeichnet. Das sind beispielsweise Energie in Form von Treibstoffen, saubere Luft, frisches Wasser, Nahrung, Regulation des Klimas, Verhinderung von Erosion und viele weitere. Diese Leistungen sind seit Beginn der Zivilisation von grossem Nutzen für die Menschheit; nur dank stabiler Ökosystemleistungen gelang es der Menschheit, sesshaft zu werden und sich zu entwickeln. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges, im Zuge der Industrialisierung, wurden viele dieser Systeme in kürzester Zeit massiv beansprucht [1].
Die grosse Beschleunigung
Ackerland ist anfälliger für Erosion, weil die obersten Erdschichten gelockert werden. Moore werden durch Entwässerung zu Ackerland umgebaut, dabei verlieren sie die Fähigkeit, Wasser und CO2 zu speichern. Durch die Umnutzung geht zudem Lebensraum für verschiedene Arten verloren. Viele weitere solche Phänomene lassen sich beobachten und sind dokumentiert. Zwei grosse Beschleunigungen haben seit 1950 stattgefunden:
Der Mensch hat sich in kürzester Zeit zu besserer Gesundheit und einem modernen Lebensstandard verholfen, gleichzeitig wurden verschiedenste Natursysteme massiv beansprucht und verändert, sodass die Ökosystemleistungen nicht mehr im selben Umfang geleistet werden können [2].
Eine neue Ära
All diese Veränderungen führen dazu, dass sich unsere Lebensbedingungen massiv verändern: Ökosysteme verlieren ihre Funktionen (z. B. als Lebensraum für verschiedene Arten oder als Nahrungsquelle) [3], die Artenvielfalt geht zurück, Wohnregionen sind zunehmend von veränderten Umweltbedingungen (z. B. zunehmender Hitze oder abnehmenden Niederschlägen im Sommer) betroffen. Die Eingriffe in die natürlichen Systeme der Welt durch den Menschen sind dermassen schnell und tiefgreifend, dass Forscherinnen und Forscher den Anbruch eines neuen Erdzeitalters propagieren: das Anthropozän. Sie argumentieren, dass die Eingriffe des Menschen in die natürlichen Systeme derart starke Veränderungen zur Folge haben, dass der Einfluss des Menschen sogar geologisch nachgewiesen werden kann. Diese Veränderungen haben wiederum direkte und indirekte Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit: Luftverschmutzung, Wasserkontamination, Artensterben, neue Erkrankungen, Nahrungsmittelknappheit, Hitzewellen und Fluten sind nur einige dieser Auswirkungen.
Planetare Gesundheit
Das Konzept Planetary Health stellt fest, dass es keine Trennung zwischen der menschlichen Gesundheit und dem Zustand der Ökosysteme und damit des Planeten gibt [1]. Nur wenn wir Lebensgrundlagen antreffen, die unsere Entwicklung und Gesundheit fördern, können wir die Errungenschaften der öffentlichen Gesundheit der vergangenen Jahre auch aufrechterhalten [4]. Wenn wir die Entwicklung und Gesundheit auf Kosten der Ökosysteme fördern, bringt dies kurzfristige Vorteile, langfristig führt dies jedoch zu einer massiven Verschlechterung der Lebensbedingungen und damit der Gesundheit. Das Konzept fordert dazu auf, anders darüber nachzudenken, wie sich das menschliche Handeln auf die Gesundheit auswirkt. Die zunehmende Bereitschaft, die Verbindungen zwischen natürlichen Systemen und der Gesundheit wahrzunehmen, aufzuzeigen und anzugehen, zeigt Fortschritte im Bereich Planetary Health. Damit einher geht die Entwicklung, die Ausbeutung natürlicher Systeme zu verhindern und Treibhausgasemissionen und andere Stoffeinträge in die Umwelt zu reduzieren [5]. Eine flächendeckende Implementierung von Planetary Health wird zwangsläufig grosse gesellschaftliche Anpassungen zur Folge haben, um die sozialen, ökonomischen und ökologischen Determinanten von Gesundheit zu verändern [6].
Gesundheitsverständnis für die Zukunft
Wenn die Veränderungen der Ökosysteme und unserer Lebenswelt als Symptome eines sich verschlechternden Gesundheitszustandes der Erde angesehen werden, wird klar, dass wir Veränderungen in der Wahrnehmung und in unserem Verhalten benötigen. Die Ärztinnen und Ärzte haben hier bereits seit der Antike ein Rahmenwerk zur Hand. Der Hippokratische Eid erinnert an die Grundprinzipien der Medizin:
- primum non nocere – die Ausbeutung von Ökosystemen verhindern und sowohl umwelt- als auch gesundheitsschädliches Verhalten beenden
- secundum cavere – bei neuen Technologien, Prozessen und Stoffen Vorsicht walten lassen, um nicht mehr Schaden anzurichten, als Gutes zu tun
- tertium sanare – die Lebenswelt zurück in einen Zustand bringen, der unserer Gesundheit förderlich ist
Wir haben es in der Hand, eine gesundheitsförderliche und nachhaltige Zukunft zu gestalten.
Planetary Health in der Ärzteschaft
Der vsao und die FMH engagieren sich für Planetary Health, manchmal auch gemeinsam.
Mehr zum Engagement der FMH und zur Strategie Planetary Health gibt es auf der Website der FMH. Dort finden Sie Informationen zu den Aktivitäten der FMH, zur Emissionsreduktion von Verbänden und Arztpraxen, zu Veranstaltungen und zu weiteren engagierten Organisationen.
Der Arbeitsgruppe Planetary Health des vsao gehören aktuell neun Mitglieder aus allen Regionen der Schweiz an. Sie hat einen Leitfaden für vsao-Mitglieder publiziert, der aufzeigt, wie Ärztinnen und Ärzte den Berufsalltag möglichst klimaschonend meistern können. Auch hat sie Empfehlungen für Patientinnen und Patienten erarbeitet, die in Praxen oder Spitälern aufgelegt und verteilt werden. Alle Materialien sowie weitere Informationen zu den Aktivitäten der Arbeitsgruppe sind verfügbar unter www.vsao.ch/planetary-health.
Literatur
- Whitmee S, et al. Safeguarding human health in the Anthropocene epoch: report of The Rockefeller Foundation-Lancet Commission on planetary health. Lancet. 2015 Nov 14;386(10007):1973–2028. doi: 10.1016/S0140-6736(15)60901-1. Epub 2015 Jul 15. Erratum in: Lancet. 2015 Nov 14;386(10007):1944. doi: 10.1016/S0140-6736(15)61180-1. PMID: 26188744.
- Steffen W, et al. (2015). The trajectory of the Anthropocene: The Great Acceleration. The Anthropocene Review, 2(1), 81–98. doi: 10.1177/2053019614564785.
- Dasgupta, P. (2021). The Economics of Biodiversity: The Dasgupta Review. (London: HM Treasury) https://www.gov.uk/government/publications/final-report-the-economics-of-biodiversity-the-dasgupta-review.
- Prüss-Ustün A, et al. (2016). Preventing Disease through Healthy Environments, a global assessment of the burden of disease from environmental risks. https://www.who.int/publications/i/item/9789241565196.
- Richardson K, et al. Earth beyond six of nine planetary boundaries. Sci Adv. 2023 Sep 15;9(37):eadh2458. doi: 10.1126/sciadv.adh2458. Epub 2023 Sep 13. PMID: 37703365; PMCID: PMC10499318.
- Watts N, et al. Health and climate change: policy responses to protect public health. Lancet. 2015 Nov 7;386(10006):1861–914. doi: 10.1016/S0140-6736(15)60854-6. Epub 2015 Jun 25. PMID: 26111439.