- Medizin trifft Kunst
Bitte berühren
«Wir sind kein Museum, sondern ein Spital», so war lange Zeit der Tenor an vielen Spitälern, die bis in die 2000er‑Jahre auf die «Ware Patient» getrimmt waren; mit effizienten Bettensilos im urbanen Raum und keinem «künstlerischen Schmuck», wie man so schön sagt. Heute ist dies nicht mehr so.
14.10.2025
Bis zur Jahrtausendwende war die Sensibilität für Kunst in den Spitälern nicht gross – in deren Sammlungen befanden sich Kalenderdrucke, Bilder aus Kunsttherapien oder von malenden Verwandten der Ärzteschaft. In den Patientenzimmern fand man Künstlerlithos, die von Patientinnen, Patienten und Pflegenden regelmässig zugehängt wurden, damit die Genesenden nicht von Alpträumen geplagt wurden: stürzende Engel, schwarze Abstraktionen. Ausstellungen in gewissen öffentlichen Bereichen bekamen die, die am aktivsten dafür warben: zumeist Hobby-Kunstschaffende.
Kunst steigert Wohlbefinden
Das war einmal: Heute hat man erkannt, dass heilende Orte eine besondere Sensibilität haben – eine «künstlerische Seele» ist hier noch wichtiger als an anderen Orten. In der Antike war dies den Menschen bewusst – Apollon war Gott der Künste und der Heilkunst. Erst im 18. Jahrhundert separierten sich beide Disziplinen. Heute wächst dank internationaler Studien [1] die Erkenntnis wieder, wie wichtig aktive Kunstausübung und passiver Kunstgenuss für das Wohlbefinden der Menschen in einem Spital (Patientinnen und Patienten, Mitarbeitende und Besuchende) sowie den Heilungsprozess der dort Hospitalisierten sind.
Dieser Teil der Serie «Medizin trifft Kunst» fokussiert auf das Thema «Kunst und Bau» [2], mit drei Beispielen vom Kantonsspital Graubünden (KSGR) [3], die im Rahmen des Ersatzneubaus 2020 realisiert wurden.
Medizin trifft Kunst
Die Verbindung von Kunst und Medizin hat eine lange Tradition; schon in der Antike galt die Kraft der Musik als heilend. Die Serie «Medizin trifft Kunst» widmet sich den vielfältigen Aspekten dieser Beziehung.
Begehbare Skulpturen mit Symbolkraft
Da Kunst keinen ersichtlichen primären Sinn hat, wird sie oft abgelehnt. Heute wird jedoch wissenschaftlich immer mehr bewiesen, dass Kunst als eine Art Komplementärmedizin wirken kann. Sie berührt die Menschen, löst Emotionen aus und stellt Fragen, die man sich sonst nicht stellen würde. Dank Kunst verlassen die Menschen das Spital mit wertvollen Impulsen für ihre Lebensgestaltung. Und gehen vielleicht «anders» heim, als sie gekommen sind. So wie es das blau-gelbe Kunstprojekt «SCARCH» mit seinen zwei Treppen symbolisch ausdrückt. Man besteigt es über eine Treppe und verlässt es über eine andere wieder.
«SCARCH» verbindet Sculpture & Architecture: eine Serie von begehbaren Arbeiten des international renommierten Bündner Künstlers Not Vital, die über den ganzen Globus verteilt sind. Die «8» soll dem Spital und seinen Menschen Glück bringen und ist ein Appell an die Ewigkeit. Eine Landmark auf dem neuen Spitalplatz, die starke Präsenz markiert und auf Augenhöhe mit den grossen Bauvolumina kommuniziert.
Der Rotstift als Gefahr für Kunstprojekte
Wie entsteht ein «Kunst und Bau»-Projekt für ein Spital? In öffentlichen Bauten fast aller Kantone der Schweiz muss ein bestimmter Prozentsatz der Bausumme in «Kunst und Bau»-Projekte investiert werden, in der Regel sind dies zwischen 0,5 und 1 Prozent. Richtlinien über das öffentliche Vergabewesen bestimmen dann, welches Auswahlverfahren (Direktauftrag oder Wettbewerbsverfahren) für ein Kunstprojekt zum Zug kommt, abhängig von der Wettbewerbssumme. Leider dominiert bei der Kunst oftmals der ökonomische Rotstift gegenüber dem Sachverstand, und bei Kosteneinsparungen wird Kunst als eine der ersten Ausgaben aus dem Budget gestrichen.
Kunstprojekte von Beginn weg mitdenken
«Gute» Projekte für einen bevorstehenden Neu- oder Umbau denken die Kunst frühzeitig mit. Je klarer die Antworten auf wichtige Fragen in ein Wettbewerbspapier einfliessen, desto synergetischer verbindet sich dieses mit dem Ort und seinen Menschen. In Bottom-up-Prozessen, die die verschiedenen internen und externen Anspruchsgruppen integrieren, werden diese Antworten gemeinsam erarbeitet. Wichtig ist hier eine Projektmanagerin oder ein Projektmanager, die/der als dolmetschende Person zwischen der Sprache der Kunst und den anderen Beteiligten übersetzen kann – vom Wettbewerbsprozess bis zum fertigen Projekt.
Wichtige Fragen und Impulse von aussen
Fragen, die hier erörtert werden, sind:
- An welchen Orten will man Kunst haben?
- Welche Zielgruppen sollen angesprochen werden?
- Fliesst das gesamte Kunstbudget in eines oder mehrere Projekte im/um den Bau?
- Gibt es Orte, die fix mit Kunst bespielt werden, und andere, die prädestiniert für wechselnde Installationen sind?
- Wie weit soll ein Projekt über den Ort hinausstrahlen (Landmark)?
- Könnte die Kunst als «fil rouge» durch verschiedene Orte führen (z. B. innen-aussen)?
- Darf es auch ein Kunstprojekt mit Nutzen sein (Brunnen, Schutzdach, Spielplatz)?
- Welcher Mix von Kunstschaffenden kommt zur Wahl? Werden geografische Kriterien berücksichtigt, Geschlechter, erfahrene Kunstschaffende oder solche, die ein Erstprojekt mit einer unerwarteten Idee vorstellen?
Um das Unerwartete etwas anzuregen, kann man eine «Wildcard» mit einladen: eine Person, die aus dem definierten Rahmen fällt, aber von der Philosophie und der künstlerischen Ausrichtung neue Impulse bringen kann.
Kick-off für das Kunstprojekt ist idealerweise, nachdem der Architekturwettbewerb gewonnen bzw. das Vorprojekt gestartet ist. So können sich Kunst und Architektur aneinander reiben und sich gegenseitig beeinflussen. Zudem bietet dies die Möglichkeit, technische Anbindungen wie Aufhängungen, Licht- oder Videoanschlüsse noch in den Rohbau zu integrieren.
Bei Christian Herdegs Licht-Ellipse zeigte sich die Wichtigkeit einer frühzeitigen Integration von Kunst in die Gebäudeplanung. Dank der von Staufer & Hasler Architekten realisierten Hochglanzdecke in der geplanten Innenhalle offenbart sich je nach Standpunkt ein mannigfaltiges Spiel von Farben und Reflexionen der nach oben rot und unten blau leuchtenden Lichtskulptur. Ein Werk, das diesen Ort der Ruhe unterstreicht, wo Patientinnen und Patienten warten. Es gleicht der Umlaufbahn eines Himmelskörpers, der unaufgeregt seine Runden dreht und als Fixpunkt am Firmament leuchtet.
Ein Kontrapunkt zur Hightech-Welt
Im Fall des KSGR hatte man beschlossen, das Gesamtbudget auf drei Projekte aufzuteilen – das dritte Projekt entstand im Restaurantbereich: Zilla Leuteneggers «Prima Cucina». Eine zweiteilige Installation aus einem Wand- und einem Deckenbild, bei der die Künstlerin traditionelle Sgraffitotechnik und Monotypie mit interaktiven Elementen kombiniert. Mit ihrer typischen Bildsprache und den wie an die Rohbetonwand gepinnten, skizzenhaften Blättern setzt Leutenegger einen Kontrapunkt zur Hightech-Welt von Medizin und Haustechnik. Ihr Werk strahlt eine Atmosphäre der Geborgenheit aus, weckt Neugierde und trägt zum Wohlbefinden bei.
Eine Tradition am KSGR
«Kunst und Bau» hatte am Kantonsspital Graubünden seit seiner Gründerzeit 1940 eine wichtige Bedeutung und floss bei jedem Um- und Neubau ein. Daneben ist eine Kunstkommission für temporäre Bespielungen der öffentlichen Bereiche innen und aussen mit Ausstellungen [4] zuständig und versucht jährlich mit wechselnden Perspektiven andere Zielgruppen im und um den Spitalbetrieb einzubeziehen. Denn Kunst muss nur eines: berühren.
Anmerkungen und Literatur
- Der 2019 erschienene WHO-Report Europa «What is the evidence on the role of the arts in improving health and wellbeing?» fasst einige Tausend Studien zusammen.
- «Kunst und Bau» ist der heute gebräuchliche Begriff, bei dem sich Kunst und Architektur idealerweise miteinander verweben. Früher sprach man von «Kunst am Bau», wenn Kunst eher im Nachgang zur Architektur an ein Gebäude adaptiert (Mosaik, Wandmalerei) oder davorgestellt (Skulptur im Eingangsbereich) wurde.
- Friederike Schmid, lic. oec. HSG, ist seit 2018 Projektleiterin «Kunst und Bau»-Projekte am KSGR und seit 2019 Vorsitzende der Kunstkommission. Es ist ihr ein wichtiges Anliegen, professionelle Kunst mit immer neuen Perspektiven auf den Betrieb und das Umfeld eines Spitals sowie seiner Menschen zu werfen. Mehr: www.ksgr.ch/kunst und auf der Website ihres Unternehmens www.combyart.ch
- Ausstellungen am KSGR – eine Auswahl:
2022/23: «Der Zauber des Alltäglichen» mit Land-Art-Künstler Strijdom van der Merwe öffnet nach der Coronapandemie die Türen und legt einen Fokus auf unsere Umgebung.
2023/24: «Das KSGR und seine Menschen». Mark Henley, Fotograf, wertschätzt die Menschen im Spital.
2024/25: «Flower Power – Heilende Pflanzen» mit über 100 floralen Werken von Leihgebenden und Kunstschaffenden und zweimonatlichen Events rund um das Thema Naturmedizin.
2025/26: «Heilen ist Kunst ist Heilen. Kunst auf Verordnung» mit Hubert Crevoisier, Glaskünstler, der im KSGR sein Atelier eingerichtet hat und dort mehrmals Patientinnen und Patienten sowie Mitarbeitende auf Verordnung empfängt.