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Der Pikettdienst in Medizinalberufen
12.08.2025
Ich muss an meinem neuen Arbeitsort Pikettdienst leisten. Was ist das genau, und wie häufig darf ich für den Pikettdienst aufgeboten werden?
Der Pikettdienst ist ein fester Bestandteil der Arbeit im Schweizer Gesundheitswesen – und dennoch werfen seine rechtlichen Rahmenbedingungen häufig praktisch relevante arbeitsrechtliche Fragen auf.
Müssen sich Arbeitnehmende neben der normalen Arbeit für allfällige Arbeitseinsätze bereithalten, aber nicht im Spital bleiben, handelt es sich um Pikettdienst. Dieser dient dabei der Bewältigung besonderer Ereignisse und Ausnahmesituationen. Es geht nicht darum, die normale Arbeit weiter zu verrichten (Art. 14 Abs. 1 ArGV 1 [1]).
Müssen Ärztinnen und Ärzte hingegen zwingend vor Ort in der Klinik bleiben – sei dies, weil sie bei einem Einsatzanruf innert kurzer Zeit am Arbeitsort eintreffen müssen (kurze Interventionszeit) oder aufgrund einer ausdrücklichen Weisung des Arbeitgebers –, spricht man von Bereitschaftsdienst.
Wann und in welchem Umfang darf Pikettdienst geleistet werden?
Der Pikettdienst darf direkt im Anschluss an die reguläre Arbeit geleistet werden, und die Arbeitseinsätze dürfen die tägliche Ruhezeit von elf Stunden unterbrechen. Kann jedoch durch die Piketteinsätze eine minimale Ruhezeit von vier aufeinanderfolgenden Stunden nicht gewährt werden, muss im Anschluss an den letzten Einsatz die tägliche Ruhezeit von elf Stunden nachgewährt werden (Art. 19 ArGV 1).
Pikettdienst darf in einem Zeitraum von vier Wochen an höchstens sieben Tagen geleistet werden. Nach Beendigung des letzten Pikettdienstes (mit oder ohne Einsatz) müssen zwei Wochen ohne Pikettdienst folgen. Die Arbeitnehmenden dürfen während dieser Zeit nicht mehr für den Pikettdienst aufgeboten werden (Art. 14 Abs. 2 ArGV 1 und Art. 8a Abs. 4 ArGV 2 [2]).
Was gilt als Arbeitszeit?
Wenn die Interventionszeit mindestens 30 Minuten beträgt, ist die zur Verfügung gestellte Zeit beim Pikettdienst so weit an die Arbeitszeit anzurechnen, als der oder die Arbeitnehmende tatsächlich zur Arbeit herangezogen wird. Die Wegzeit zu und von der Arbeit ist ebenfalls an die Arbeitszeit anzurechnen (Art. 15 Abs. 2 ArGV 1). Auch die Zeit, die für einen Piketteinsatz von zu Hause aus aufgewendet wird, einschliesslich der Zeit am Telefon, gilt als Arbeitszeit.
Ist die Interventionszeit kürzer als 30 Minuten, haben die Arbeitnehmenden zusätzlich Anspruch auf eine Zeitgutschrift von zehn Prozent der inaktiven Pikettdienstzeit, also der für den Pikettdienst aufgewendeten Zeit ausserhalb einer Intervention sowie der Zeit für den Arbeitsweg (Art. 8a Abs. 2 ArGV 2).
Der Bereitschaftsdienst zählt vollständig als Arbeitszeit, auch wenn die Arbeitnehmenden nicht zu effektiven Arbeitseinsätzen herangezogen werden. Nach dem Bereitschaftsdienst muss die tägliche Ruhezeit gewährt werden (vgl. Wegleitung zu Art. 15 Abs. 1 ArGV 1).
Entschädigung des Pikettdienstes
Die Zeit, in der sich die Arbeitnehmenden für allfällige Arbeitseinsätze bereithalten müssen, ist zu entschädigen [3]. Die Höhe dieser Entschädigung muss jedoch nicht zwingend dem Lohn für die Haupttätigkeit entsprechen. Sie kann in einem Einzel- oder in einem Gesamtarbeitsvertrag geregelt werden. Falls entsprechend vereinbart, kann die Pikettentschädigung sogar bereits im Lohn für die Hauptleistung enthalten sein.
Werden Arbeitnehmende in der Nacht oder am Sonntag zu einem Piketteinsatz gerufen, haben sie Anspruch auf den gesetzlich vorgesehenen Lohn- und Zeitzuschlag von zehn Prozent (vgl. Art. 17b, 19 und 20 ArG [4]).
Schwierigkeit in kleinen Spitälern
In kleinen Spitälern und Kliniken mit wenig Arbeitnehmenden kann die Planung des Pikettdienstes rasch mit den Ruhezeitvorschriften konfligieren. Um Ausnahmesituationen zu bewältigen, dürfen Arbeitnehmende im Zeitraum von vier Wochen unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise an höchstens 14 Tagen Pikettdienst leisten. Dies ist möglich, wenn nicht genügend Personalressourcen vorhanden sind, die Anzahl der tatsächlichen Piketteinsätze im Durchschnitt eines Kalenderjahres nicht mehr als fünf Einsätze pro Monat ausmacht und kein Fall gegeben ist, in dem verkürzte Interventionszeit (d. h. unter 30 Minuten) vorliegt (Art. 14 Abs. 3 ArGV 1). Arbeitsgesetzlich verboten ist es jedoch, einen Betrieb mit unzureichenden personellen und finanziellen Ressourcen mittels Pikettdienst über längere Zeit aufrechtzuerhalten. Falls ein Betrieb nicht gesetzeskonform aufrechterhalten werden kann, sind allenfalls mehr Fachkräfte einzustellen. Ist dies nicht möglich, müssen Leistungen angepasst, allenfalls auch abgebaut werden, damit die zwingenden arbeitsgesetzlichen Vorschriften eingehalten werden können.
Literatur
- Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz (ArGV 1), SR 822.111.
- Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz (ArGV 2), SR 822.112.
- BGE 124 III 249.
- Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG), SR 822.11.