- Aufgefallen
Auf der Suche nach einer menschlichen Medizin
In «Man’s 4th Best Hospital» zeichnet Samuel Shem – ganz in der Tradition von «House of God» – mit zynischer Präzision das Bild einer Krankenhauswelt, die von Profitstreben und Bürokratie dominiert wird und in der kaum mehr Platz für Menschlichkeit bleibt.
10.06.2025

Kaum ein Buch ist in der Medizinwelt so bekannt und wird so kontrovers diskutiert wie «The House of God» von Samuel Shem. Unbestritten ist, dass die 13 Regeln des «House of God», so etwa «The best delivery of medical care is to do as much nothing as possible», die Augen fast aller Ärztinnen und Ärzte wissend aufblitzen lassen.
Gute Docs in einem schlechten System
Weniger bekannt ist, dass es neben dem zweiten Band, «Mount Misery» (1997), noch einen dritten Band (2019) der Abenteuer des Roy Bash in der Spitallandschaft gibt. Im «Man’s 4th Best Hospital» werden Roy und seine Kumpane von «The Fat Man» (Fats) in eine andere Klinik geholt. Sein Ziel: Roy und Co. sollen wieder menschliche Medizin machen.
Keine einfache Aufgabe, denn in der gewinnorientierten, bürokratieüberladenen und effizienzgetrimmten Umgebung kann Roy nicht die Medizin praktizieren, die er als Arzt moralisch erbringen möchte. Er sieht, wie Patientinnen und Patienten unter falschen finanziellen Anreizen, Versicherungsbarrieren und unnötigen Prozeduren leiden, hinzu kommen Entlassungsdruck und fehlende Kontinuität. Auch begegnet Roy Assistenzärztinnen und -ärzten, die nach langen Schichtarbeiten und mehr Zeit vor dem Bildschirm als am Patientenbett ihre Berufswahl und sich selbst als Menschen hinterfragen. «Even the best of us – good people, good docs – do bad in these bad systems», sagt Fats dazu. Und: «Smart screens make dumb docs.»
Doch es gibt auch Gegenwind: Denn Fats bemüht sich nicht nur um die Wiederaufnahme des realen Patientenkontakts, sondern auch um den Zusammenhalt der Ärztinnen und Ärzte unter sich. So beginnt er, beim morgendlichen Team-Check-in nach dem Befinden des Teams zu fragen – und das Teilen der Sorgen führt zu Empathie und Solidarität.
«Aufgefallen»: Empfehlungen der Redaktion
Unter «Aufgefallen» stellen Mitglieder der Redaktion Bücher, Filme und andere Inhalte vor, die auch für andere Ärztinnen und Ärzte spannend sein könnten.
Ein Werk, das Fragen aufwirft
Auch im dritten Band ist Samuel Shem an seinem Schreibstil und am Inhalt zu erkennen. Eine starke Kritik am ersten Band war, dass er sexistisch und vulgär sei – und natürlich schaut Dr. Bash auch im dritten Band seiner kompetenten Kollegin in den Ausschnitt. Old dogs don’t change. Im Verlauf des Buches weist ihn seine ehemalige Geliebte jedoch in die Schranken. Dies erstaunt. Vielleicht hat sich die Sicht des Autors verändert, oder vielleicht hat er ein starkes Lektorat zur Seite bekommen, das ihn diesbezüglich im 21. Jahrhundert ankommen liess.
Zum auffallenden Zynismus im ersten Buch erklärt sich der Protagonist Roy:
«We were crazy with fatigue and frozen in isolation and our souls were crushed by the dumb power coming down on us. […] And we, to our shame, had been unkind or, worse, a lot worse.
Now, having time, wandering to sit with my guys […] I saw real kindness. Kindness that had come from being with suffering. […] We had grown up.»
Nach dem letzten Satz des Buches, nach der letzten hochgezogenen Augenbraue, bleibt wie bei jeder guten Satire die Frage in der Luft hängen: Wie viel Realität steckt in dieser Dystopie, und wie dystopisch ist unsere Realität? Oder unsere Zukunft? Ein Buch, das sich zu lesen lohnt.