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Arzthaftung und Versicherung

Wann sind Ärztinnen und Ärzte haftbar? Und was können sie tun, um sich bestmöglich abzusichern? Eine Übersicht.

Auch Ärztinnen und Ärzte machen Fehler. Sie sind dafür jedoch nur haftbar, wenn sie nicht fachgerecht vorgegangen sind. Bild: Adobe Stock /  Kzenon
Auch Ärztinnen und Ärzte machen Fehler. Sie sind dafür jedoch nur haftbar, wenn sie nicht fachgerecht vorgegangen sind. Bild: Adobe Stock /  Kzenon

Zusammenfassung

Die Grundzüge der Arzthaftung in der Schweiz sind dieselben, unabhängig davon, ob eine Ärztin oder ein Arzt selbstständig oder angestellt tätig ist. Der erste Teil dieses Beitrags bietet einen Überblick über die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der zivilrechtlichen bzw. staatshaftungsrechtlichen Haftung, die auf den finanziellen Ausgleich erlittener Schäden von Patientinnen und Patienten abzielt. Im zweiten Teil wird auf den Versicherungsschutz sowie auf wichtige Pflichten eingegangen, die Ärztinnen und Ärzte bei Eintritt eines Schadenfalls haben. Der dritte Teil des Beitrags enthält aus der Praxis eines Spitals entwickelte Empfehlungen, was nach einem möglichen Behandlungsfehler konkret vorzukehren ist.

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Therapeutischen Umschau» 2024; 81 (6): 203–206 publiziert und erscheint hier in einer leicht überarbeiteten Fassung.

Rechtlich wird zwischen zwei Arten der Arzthaftung unterschieden. Einerseits existiert die strafrechtliche Arzthaftung, die sich gegen die Einzelperson richtet und eine Verurteilung wegen Erfüllung eines Straftatbestands zur Folge haben kann (z. B. Körperverletzung, Tötung etc.). Anderseits gibt es die zivilrechtliche (bzw. für angestellte Ärztinnen und Ärzte in öffentlichen Institutionen die staatshaftungsrechtliche) Arzthaftung, die auf den finanziellen Ausgleich erlittener Schäden von Patientinnen und Patienten abzielt. Der vorliegende Beitrag fokussiert auf die zivilrechtliche Arzthaftung, deren Voraussetzungen und die Versicherung gegen das entsprechende Risiko.

Voraussetzungen der zivilrechtlichen Arzthaftung

Haftungsvoraussetzungen sind das Vorliegen eines Behandlungsverhältnisses, ein Schaden bei der Patientin oder beim Patienten, eine Pflichtverletzung der Ärztin oder des Arztes, ein Kausalzusammenhang und ein Verschulden der Ärztin oder des Arztes.

Behandlungsverhältnis

Auf das Behandlungsverhältnis zwischen Ärztin oder Arzt und Patientin oder Patient kommen grundsätzlich die obligationenrechtlichen Bestimmungen über den Auftrag zur Anwendung (Artikel 394 ff. des Obligationenrechts [OR]). Ein Auftrag kommt formfrei zustande, d. h. ohne Unterzeichnung etwa eines Vertrags (z. B. durch eine Onlineterminvereinbarung).
Ein Behandlungsverhältnis ist von der Patientin oder vom Patienten nachzuweisen. In der Praxis ist die Existenz eines Behandlungsverhältnisses in der Regel unstrittig.

Schaden bei der Patientin oder beim Patienten

Eine erlittene Gesundheitsschädigung (Organverletzung, Seitenverwechslung, Zahnschaden etc.) reicht zur Begründung eines Schadens im haftpflichtrechtlichen Sinn noch nicht aus. Dazu muss die Gesundheitsschädigung nämlich entweder finanzielle Folgen haben, für die Schadenersatz verlangt wird (z. B. Lohnausfall oder Mehrkosten durch längere Behandlungsdauer, Betreuungskosten etc.), oder der Gesundheitsschaden stellt eine vermögensunabhängige Beeinträchtigung der Persönlichkeit dar, für die Genugtuung verlangt wird (z. B. seelische Beeinträchtigungen in Form von körperlichen Schmerzen, Verminderung der Lebensfreude etc.) (Bundesgerichtsentscheid [BGE] 125 III 412 Erwägung [E.] 2a).
In der Praxis wird selten bestritten, dass ein Schaden vorliegt. Die Meinungen gehen jedoch regelmässig bei der Frage auseinander, wodurch er verursacht wurde und wie hoch er zu beziffern ist (z. B. bei der Berechnung des hypothetischen Erwerbsausfalls).

Pflichtverletzung der Ärztin oder des Arztes

Ein Behandlungsverhältnis bringt für Ärztinnen und Ärzte u. a. zwei zentrale Berufspflichten mit sich: die Sorgfaltspflicht und die Aufklärungspflicht (BGE 117 Ib 197 E. 2a). Der häufigste Vorwurf ist die Verletzung einer dieser Berufspflichten, weshalb sie nachfolgend näher beleuchtet werden.

Sorgfaltspflicht und deren Verletzung
Ärztinnen und Ärzte «schulden» den Patientinnen und Patienten keinen Behandlungserfolg, sondern lediglich ein sorgfältiges Tätigwerden nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst (lege artis). Die Anforderungen an diese ärztliche Sorgfaltspflicht sind nicht abschliessend geregelt. Laut Bundesgericht, dem höchsten Gericht der Schweiz, richten sich diese vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls, namentlich nach der Art des Eingriffs oder der Behandlung, den damit verbundenen Risiken, dem Ermessensspielraum, den Mitteln und der Zeit, die der Ärztin oder dem Arzt im Einzelfall zur Verfügung steht, sowie nach der Ausbildung und Leistungsfähigkeit und den allgemeinen Richtlinien und Behandlungsstandards der Fachgesellschaften (BGE 134 IV 175 E. 3.2). Ärztinnen und Ärzte haben ihre Patientinnen und Patienten zum Schutze ihres Lebens oder ihrer Gesundheit stets fachgerecht zu behandeln und dabei die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt zu beachten (Urteil des Bundesgerichts 4A_255/2021 vom 22. März 2022 E. 3.1.3). Dazu gehört auch, dass sie ihre eigenen (fachlichen) Grenzen kennen (zum sog. Übernahmeverschulden siehe Urteil des Bundesgerichts 6B_217/2020 vom 31. August 2020 E. 4.2).
Ein Behandlungsfehler – gemeinhin «Kunstfehler» genannt – liegt gemäss Bundesgericht vor, wenn eine Diagnose, eine Therapie oder ein sonstiges ärztliches Vorgehen nach dem allgemeinen fachlichen Wissensstand nicht mehr als vertretbar erscheint und damit ausserhalb der objektivierten ärztlichen Kunst steht (Urteil des Bundesgerichts 4A_255/2021 vom 22. März 2022 E. 3.1.3). Darunter fällt etwa eine Seitenverwechslung oder das Vergessen von Instrumenten oder Tupfern im Körper. Ärztinnen und Ärzte haften indessen nicht nur für grobe Verstösse gegen die Regeln der ärztlichen Kunst, sondern für jede Pflichtverletzung (BGE 120 Ib 411 E. 4a).
Der Begriff der Pflichtverletzung darf dabei aber nicht so verstanden werden, dass darunter jede Massnahme oder Unterlassung fällt, die bei nachträglicher Betrachtung den Schaden bewirkt oder vermieden hätte (BGE 130 IV 7 E. 3.3). Ärztinnen und Ärzte haben nämlich sowohl bei der Diagnose als auch bei der Behandlung nach dem objektiven Wissensstand oftmals einen Entscheidungsspielraum, der eine Auswahl aus verschiedenen in Betracht kommenden Möglichkeiten zulässt. Sich für die eine oder andere zu entscheiden, fällt in das pflichtgemässe Ermessen der Ärztinnen und Ärzte, ohne dass sie zur Verantwortung gezogen werden könnten, wenn sie bei einer retrospektiven Beurteilung nicht die objektiv beste Lösung gefunden haben (BGE 120 Ib 411 E. 4a).
Stellt sich etwa eine Diagnose rückblickend als falsch heraus, ist zwischen einem (nicht vorwerfbaren) Diagnoseirrtum und einer Fehldiagnose zu unterscheiden. Da Ärztinnen und Ärzte als Auftragnehmende die Erhebung eines korrekten Befundes nicht garantieren können bzw. müssen, haben sie nur dann für die falsche Diagnose einzustehen, wenn sie dabei nicht fachgerecht vorgegangen sind und die erforderlichen Mittel und Erkenntnisquellen nicht genutzt oder beigezogen haben (BGE 130 IV 7 E. 3.3).
Bei der Beurteilung von Haftungsfragen in der Rechtsprechung wird schliesslich berücksichtigt, dass Ärztinnen und Ärzte eine sogenannte gefahrengeneigte Tätigkeit ausüben (BGE 120 Ib 411 E. 4a). Für jene Gefahren und Risiken, die mit einer ärztlichen Handlung oder Krankheit immanent verbunden sind, haben sie nicht einzustehen (BGE 134 IV 175 E. 3.2). Mit anderen Worten stellen blosse Komplikationen bzw. deren Eintreten keinen Verstoss gegen die Regeln der ärztlichen Kunst dar, sondern sind ein therapeutisches Risiko (z. B. Infektion, Embolie, Blutung oder Thrombose). Für dieses Risiko haften Ärztinnen und Ärzte nicht, wenn sie die Patientinnen und Patienten vorgängig darüber aufgeklärt und alle Vorkehrungen getroffen haben, um den Eintritt des Risikos zu vermeiden (BGE 117 Ib 197 E. 3b).
Ein Behandlungsfehler ist von den Patientinnen oder Patienten nachzuweisen (BGE 133 III 121 E. 3.1 und 3.4). Dies geschieht üblicherweise mittels Gutachten von sachverständigen Ärztinnen oder Ärzten (vgl. als Beispiel das Urteil des Bundesgerichts 4C.32/2003 vom 19. Mai 2003 E. 4.1).

Aufklärungspflicht und deren Verletzung
Jede ärztliche Behandlung stellt einen Eingriff in die körperliche Integrität der Patientinnen und Patienten dar. Ein solcher Eingriff ist grundsätzlich rechtswidrig, wenn er nicht auf einer vorherigen Einwilligung der Patientinnen oder Patienten beruht. Laut Bundesgericht gründet das Erfordernis dieser Einwilligung und der damit verbundene Aufklärungsanspruch auf ihren allgemeinen Persönlichkeitsrechten und dient dem Schutz sowohl der freien Willensbildung, dem Selbstbestimmungsrecht als auch der körperlichen Integrität (BGE 115 Ib 175 E. 2b).
Patientinnen und Patienten können nur so weit in eine Behandlung einwilligen, wie sie darüber aufgeklärt worden sind (informed consent). Ärztinnen und Ärzte müssen sie klar, verständlich und so umfassend wie möglich über Diagnose, Therapie, Prognose, Behandlungsalternativen, Risiken, Heilungschancen, den spontanen Verlauf der Krankheit sowie gegebenenfalls über finanzielle Fragen aufklären (BGE 133 III 121 E. 4.1.2). Dabei sind ihr sozialer Hintergrund und ihre Sprache (nicht die der Ärztin oder des Arztes) als Richtmass mitzuberücksichtigen. Ziel ist es, Patientinnen und Patienten in die Lage zu versetzen, möglichst umfassend zu verstehen und aus freien Stücken in die vorgeschlagene Behandlung einzuwilligen oder diese abzulehnen. Gleichzeitig darf diese Aufklärung aber laut Bundesgericht auch «keinen für [ihre] Gesundheit schädlichen Angstzustand» hervorrufen – es gilt, eine gewisse Verhältnismässigkeit zu finden (BGE 117 Ib 197 E. 3b).
Einschränkungen oder gar Ausnahmen von der ärztlichen Aufklärungspflicht sind nur in bestimmten Fällen zulässig, etwa wenn es sich um eine Notfallbehandlung handelt. Diesfalls ist die ausführliche Aufklärung so schnell wie möglich nachzuholen.
Der Zeitpunkt der Aufklärung ist so früh wie möglich zu fixieren, damit gewährleistet ist, dass Patientinnen und Patienten ohne Zeitdruck überlegen können. Laut Bundesgericht müssen sie bei kleineren Eingriffen grundsätzlich spätestens einen Tag vor dem Eingriff ihre Einwilligung geben. Für grössere Eingriffe hat das Bundesgericht den Grundsatz festgehalten, dass die nötige Bedenkzeit mindestens drei Tage betragen muss (Urteil des Bundesgerichts 6B_910/2013 vom 20. Januar 2014 E. 3.6.1). Unerheblich ist dabei, ob eine Behandlung ambulant oder stationär erfolgt.
Bringt eine Patientin oder ein Patient vor, nicht (angemessen) über eine Behandlung aufgeklärt worden zu sein, liegt die Beweislast für die ordnungsgemässe Aufklärung und die Einwilligung der Patientin oder des Patienten auf ärztlicher Seite – ist also gerade umgekehrt als beim Nachweis eines Behandlungsfehlers (BGE 115 Ib 175 E. 2b). Aus diesem Grund empfiehlt es sich, das Aufklärungsgespräch schriftlich zu dokumentieren, z. B. mit einem Formular, das beide unterzeichnen. Ein allgemeiner Vermerk in der Patientendokumentation, wonach die Patientin oder der Patient über die geplante Behandlung und ihre möglichen Komplikationen informiert worden sei, reicht laut Bundesgericht nicht aus (BGE 117 Ib 197 E. 3c).
Verletzen Ärztinnen oder Ärzte ihre Aufklärungspflicht oder misslingt ihnen der Nachweis der Aufklärung, gilt die gesamte durchgeführte Behandlung als widerrechtlich. Ärztinnen und Ärzte haften diesfalls für den entstandenen Schaden, auch wenn sie die Behandlung lege artis durchgeführt haben (BGE 108 II 59 E. 3). Entlasten könnten sie sich in diesem Fall durch den Nachweis, dass eine Patientin oder ein Patient bei ordnungsgemässer Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (sog. hypothetische Einwilligung) (BGE 133 III 121 E. 4.1.3). Es versteht sich von selbst, dass ein solcher Nachweis um einiges aufwendiger zu erbringen ist. Eine sorgfältige Dokumentation der Aufklärung wird daher dringlich empfohlen.

Kausalzusammenhang zwischen Schaden und Pflichtverletzung

Ärztinnen und Ärzte haften nur für den Schaden von Patientinnen und Patienten, wenn zwischen dem Schaden und der Tätigkeit bzw. der Pflichtverletzung der Ärztin oder des Arztes ein Kausalzusammenhang besteht. Die Pflichtverletzung muss als natürliche Ursache des Schadens erscheinen und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Erfahrung geeignet sein, den Schadenseintritt herbeizuführen oder ihn jedenfalls zu begünstigen (Urteil des Bundesgerichts 4C.32/2003 vom 19. Mai 2003 E. 4.2.1).
Der Kausalzusammenhang ist von den Patientinnen und Patienten nachzuweisen. Dies geschieht üblicherweise in Form von Gutachten durch sachverständige Ärztinnen oder Ärzte (vgl. als Beispiel das Urteil des Bundesgerichts 4A_98/2010 vom 21. April 2010 E. 4).

Ärztliches Verschulden

Ein Verschulden ist in haftungsrechtlichen Abklärungen nicht in einem moralischen Sinne zu verstehen: Ein ärztliches Verschulden wird grundsätzlich vermutet, wenn eine Pflichtverletzung nachgewiesen ist, und muss nicht von der Patientin oder dem Patienten nachgewiesen werden (BGE 120 II 248 E. 2c). Ärztinnen und Ärzten steht unter Umständen die Möglichkeit offen, sich vom geäusserten Vorwurf zu befreien und nachzuweisen, dass sie sich keiner Pflichtverletzung schuldig gemacht haben bzw. ihnen der objektiv festgestellte Kunstfehler nicht zum Vorwurf gemacht werden kann (sog. Exkulpation) (BGE 133 III 121 E. 3.1). Dazu haben sie nachzuweisen, dass sie in der konkreten Situation unter den gegebenen Umständen die ihnen zumutbare Sorgfalt angewendet haben.

Versicherungsschutz und -ansprüche

Versicherungsdeckung

Selbstständig tätige Ärztinnen und Ärzte müssen von Gesetzes wegen über eine ausreichende Berufshaftpflichtversicherung verfügen (Art. 40 lit. h des Medizinalberufegesetzes, MedBG). Spitäler haben für ihre Angestellten in der Regel ebenfalls eine solche abgeschlossen.
Die Versicherungsdeckung und -leistungen variieren von Police zu Police, je nach den Bedürfnissen der Versicherten, der Tätigkeitsfelder und der Risikobereitschaft. Es lohnt sich, die eigene Police – bereits vor Eintritt eines Schadenfalls – zu kennen bzw. diese gelegentlich zu überprüfen (z. B. hinsichtlich der versicherten Risiken und Personen, Deckungsausschlüsse, Selbstbehalt etc.).

Wichtige Pflichten der Versicherten im Schadenfall

Bei Eintritt eines Schadenfalls haben Ärztinnen und Ärzte üblicherweise verschiedene Pflichten. Zwei der wichtigsten umfassen die zeitnahe Anzeige an die Haftpflichtversicherung und die Pflicht, vor Schuldeingeständnissen oder Anerkennung von Ansprüchen der Patientin oder des Patienten die Zustimmung der Versicherung einzuholen.

Anzeigepflicht
Versicherte Ärztinnen und Ärzte werden in der Police regelmässig dazu verpflichtet, ihre Haftpflichtversicherung innert weniger Tage nach Eintritt eines Schadenfalls darüber zu informieren.
In der Praxis sollte mit der Anmeldung eines Schadenfalls deshalb nicht lange zugewartet werden, auch wenn bspw. der medizinische Sachverhalt noch nicht gänzlich erstellt ist oder die Ärztin bzw. der Arzt sich sicher ist, mit der nötigen Sorgfalt gehandelt zu haben. Die – auch vorsorglich gemachte – Anmeldung eines Schadenfalls bei der Haftpflichtversicherung bedeutet noch keine Anerkennung einer Pflichtverletzung durch die Ärztin oder den Arzt. Sie ist vielmehr ein standardmässiger technischer Schritt, sobald eine Patientin oder ein Patient eine Sorgfaltspflichtverletzung geltend macht.

Keine Schuldanerkennung ohne Zustimmung der Haftpflichtversicherung
In den gängigen Haftpflichtpolicen findet sich regelmässig eine Bestimmung, wonach Versicherte ohne vorgängige Zustimmung der Haftpflichtversicherung nicht berechtigt sind, Entschädigungsansprüche anzuerkennen oder abzufinden. In der Praxis ist eine solche Bestimmung vor allem bei der Kommunikation eines möglichen Fehlers gegenüber Patientinnen und Patienten relevant. Aus genanntem Grund sollten Ärztinnen und Ärzte von voreiligen Schuldeingeständnissen absehen.
Falls Ärztinnen oder Ärzte eine Pflichtverletzung ohne vorgängige Zustimmung der Versicherung anerkennen, kann diese ihre Leistungen für den Schadenfall gestützt auf die Police verweigern oder kürzen.

Abwicklung Schadenfall

Seit Anfang 2022 kann ein Schadenfall nicht nur von versicherten Ärztinnen und Ärzten bei der Haftpflichtversicherung angemeldet werden, sondern auch direkt von den betroffenen Patientinnen und Patienten (Art. 60 des Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag [VVG]). Erfahrungsgemäss brauchen Patientinnen und Patienten dafür die Unterstützung einer Anwältin oder eines Anwalts, die bzw. der wiederum auf die Expertise von sachverständigen Ärztinnen oder Ärzten angewiesen ist.
Ab der Anmeldung eines Schadenfalls übernimmt die Haftpflichtversicherung üblicherweise den Grossteil der Arbeit bzw. der weiteren Abwicklung: Sie ermittelt und beurteilt den medizinischen Sachverhalt mithilfe von eigenen oder beigezogenen medizinischen Fachpersonen, vertritt Ärztinnen und Ärzte gegenüber den Patientinnen und Patienten oder deren Anwälten und entschädigt berechtigte Ansprüche bzw. wehrt unbegründete ab. Hinzu kommt regelmässig die Übernahme von Rechtsvertretungskosten in allfälligen Disziplinar-, Straf-, Verwaltungs- und Zivilverfahren durch die Versicherung.
Da die medizinischen und juristischen Abklärungen sowie ein allfälliger Gang vor Gericht für beide Seiten erfahrungsgemäss hohe Kosten verursachen und lange dauern können, werden solche Schadenfälle grösstenteils aussergerichtlich mittels einer Vergleichsvereinbarung beigelegt.

Umgang mit möglichen Fehlern

Fehler können passieren. Wichtig ist, dass man lernt, damit umzugehen, und daraus zu lernen. Nach Entdeckung eines möglichen Fehlers ist oft Folgendes empfehlenswert:

Weiterbehandlung und Schadenminderung

Nach Entdecken eines möglichen Fehlers ist die sorgfältige Weiterbehandlung der betroffenen Person sicherzustellen. Bestenfalls kann dabei das Ausmass des Schadens verringert werden, etwa durch den Beizug einer Kollegin oder weiteren Spezialisten (z. B. eines Gefässchirurgen bei einer Gefässverletzung). Es ist davon abzuraten, aus Selbstüberschätzung oder Angst, damit «etwas» einzugestehen, auf eine solche Unterstützung zu verzichten.

Hohe Priorisierung und proaktive Aufarbeitung

Wichtig ist, dass ein möglicher Fehler weder verharmlost noch verdrängt wird. Gerade in solchen unvorhergesehenen Situationen ist ein Fokus auf die Patientin oder den Patienten wichtig. Neben einer anständigen und adäquaten Kommunikation empfiehlt es sich auch, einen möglichen Fehler umgehend unter Beizug einer Spezialistin oder eines Spezialisten (z. B. Kaderarzt), die bzw. der nicht direkt in die Behandlung involviert war, aufzuarbeiten und gemeinsam die weiteren Schritte festzulegen. Die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass sich eine hohe Priorisierung zu einem frühen Zeitpunkt und ein damit einhergehender Einsatz aller nötigen Ressourcen auszahlen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Fall wird schnell und transparent aufgearbeitet, wodurch man bei allfälligen Weiterungen des Falls nicht hinterherhinkt oder der Eindruck des Vertuschens entsteht. Für Behandlungsteams in Spitälern gilt ausserdem, dass möglicherweise fehlbare Ärztinnen und Ärzte nicht sich selbst überlassen, sondern bestmöglich unterstützt werden.

Gedächtnisprotokoll

Es lohnt sich für jede in die Behandlung involvierte Person, zeitnah ein Gedächtnisprotokoll zu erstellen. Darin sind alle relevanten Informationen zur fraglichen Behandlung festzuhalten, ohne dass Wertungen, Fehlereingeständnisse oder Schuldanerkennungen vorgenommen werden (beteiligte Personen, Behandlungsverlauf, nur eigene Beobachtungen, Fakten etc.). Da die medizinische und rechtliche Aufarbeitung eines möglichen Fehlers regelmässig verzögert beginnt und auch lange dauern kann, kann ein Gedächtnisprotokoll als Gedankenstütze dienen, wenn es (erst) Monate später zu konkreten Vorwürfen oder einer Befragung durch ein Gericht bzw. die Strafverfolgungsbehörden kommen sollte.

Gespräch mit betroffener Person

Kommunikation ist (auch und gerade) im Gespräch über mögliche Fehler von elementarer Bedeutung: Wirft eine Patientin oder ein Patient der Ärztin oder dem Arzt eine Pflichtverletzung vor, lohnt es sich immer, sich Zeit zu nehmen für ein ausführliches Gespräch (inkl. dessen Vorbereitung) – abgesehen vom Gebot des Anstands sind diese Gespräche oft eine Weichenstellung für die spätere Regelung bzw. Erledigung der Haftung. Hilfreich ist erfahrungsgemäss auch, wenn eine zusätzliche Fachperson am Gespräch teilnimmt, die nicht direkt in die Behandlung involviert war (z. B. eine Kaderärztin, ein Beschwerdemanager etc.). Im Gespräch können der Behandlungsverlauf besprochen sowie allfällige Unklarheiten und Missverständnisse ausgeräumt werden. Die Ärztin oder der Arzt soll dabei offen und transparent über die Fakten informieren, die eigenen Handlungen oder ihre Konsequenzen, aber nicht bewerten und vor allem nicht spekulieren. Von voreiligen Schuldeingeständnissen (ohne vorgängige Zustimmung der Haftpflichtversicherung) ist ebenfalls abzusehen (vgl. dazu vorn, Versicherungsschutz und -ansprüche, wichtige Pflichten der Versicherten im Schadenfall, keine Schuldanerkennung ohne Zustimmung der Haftpflichtversicherung).
Die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass die meisten Vorwürfe im Rahmen eines Gesprächs mit der Patientin oder dem Patienten ausgeräumt werden können.

Involvierung der Haftpflichtversicherung

Wenn sich abzeichnet, dass ein Schadenfall eingetreten ist bzw. die Patientin oder der Patient entsprechende Vorwürfe geltend macht, ist die Haftpflichtversicherung – nach entsprechender Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht – zeitnah zu informieren (vgl. dazu vorn, Versicherungsschutz und -ansprüche, wichtige Pflichten der Versicherten im Schadenfall, Anzeigepflicht). Dabei lohnt es sich, die vollständige Patientendokumentation und allfällige Vorschläge für Gutachter gleich mitzuschicken. Alle weiteren Schritte, insbesondere die Kommunikation mit der betroffenen Person oder deren Anwalt, sind fortan mit der Haftpflichtversicherung abzusprechen bzw. werden von dieser übernommen.

Betreuung der behandelnden Ärztinnen und Ärzte

Ein möglicher Fehler ist nicht nur für die betroffene Person belastend, sondern auch für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte (Selbstvorwürfe, Angst vor neuen Fehlern, Konzentrationsprobleme etc.). Das ist völlig normal. Eine psychische Belastung und ein Verlust von Selbstvertrauen bergen das Risiko, dass erneut Fehler begangen werden. Die Betreuung und Begleitung der behandelnden Ärztinnen und Ärzte bzw. der Austausch unter den Berufskolleginnen und -kollegen haben deshalb mindestens genauso viel Aufmerksamkeit verdient wie die Abwicklung des Schadenfalls.

Überprüfung der Prozesse zwecks Vermeidung einer Fehlerwiederholung

Sobald die im konkreten Einzelfall notwendigen Sofortmassnahmen ergriffen sind, sollte der Prozess, bei dem der mögliche Fehler aufgetreten ist, kritisch überprüft werden (nötigenfalls unter Beizug von weiteren Fachpersonen). So kann eine Wiederholung des Fehlers vermieden werden.

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