• My Way

Wie fördern Sie die mentale Gesundheit im Globalen Süden, Frau Müller?

Monika Müller ist Psychiaterin, Forscherin und Gründerin des gemeinnützigen Vereins «delta». In all ihren Rollen verfolgt sie ein Ziel: Menschen mit psychischen Erkrankungen eine evidenzbasierte Behandlung zu ermöglichen.

«Monika Müller engagiert sich umsetzungsorientiert für mentale Gesundheit – in der Schweiz und weltweit.»

Fabian Kraxner, Facharzt und Redaktionsmitglied vsao Journal

Monika Müller, Sie haben mit der Psychiatrie und mit Public Health gleich zwei Fachrichtungen gewählt. Warum?

Ich finde psychiatrische Krankheitsbilder sehr interessant, als Psychiaterin habe ich jedoch vor allem mit dem Individuum und mit dessen Familie zu tun. Die übergeordnete Bevölkerungsperspektive spielt in der klinischen Versorgung eine untergeordnete Rolle. Für eine umfassende Förderung der psychischen Gesundheit ist aber genau diese übergeordnete Perspektive wichtig. Wie gestalten wir eine psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung, die alle Betroffenen erreicht? Hier ist es beispielsweise auch wichtig, die IV aus gesundheitspolitischer Sicht zu verstehen.

Sie sind nicht nur thematisch breit aufgestellt, sondern auch geografisch: In Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich mit der Versorgungssituation im Globalen Süden, und mit dem Verein «delta» engagieren Sie sich aktiv für deren Verbesserung. Wie ist die Idee für delta entstanden?

Das Bedürfnis, mich für einen gerechteren Zugang zur Gesundheitsversorgung global einzusetzen, hat mich seit jeher angetrieben. Während des Studiums habe ich jedoch damit gehadert, dass dies in der Psychiatrie nicht ganz einfach ist. Chirurginnen und Chirurgen können sich für einige Wochen pro Jahr in einem Land im Globalen Süden engagieren. In der Psychiatrie, wo der Kontextbezug sehr wichtig ist, geht das nicht. Deshalb habe ich nach Möglichkeiten gesucht, um mich trotzdem einzusetzen. Und ich habe gemerkt: Es ist möglich, wenn auch auf einer anderen Ebene – beispielsweise mit dem Beraten von Fachpersonen aus anderen Ländern oder indem durch klinische Trials verschiedene Versorgungsmodelle verglichen und auf deren Kosteneffizienz untersucht werden.

Inspirierende Persönlichkeiten im Fokus

Mutige Vorreiterin, empathischer Chef, charismatische Weiterbildnerin, politischer Kämpfer: Es gibt viele Eigenschaften und Rollen, die für junge Ärztinnen und Ärzte inspirierend wirken können. In der Serie «My Way» geben wir einen Einblick in die Gedanken, Erlebnisse und Lebenswege von Personen, die durch ihren Weg oder ihre Art herausstechen.

Wie schwierig war es, einen Verein aufzubauen?

Einen Verein zu gründen, ist eigentlich einfach, vorausgesetzt, andere Menschen teilen die Vision. Wir hatten einen pensionierten Juristen als Beirat, der uns bei den Statuten geholfen hat. Ansonsten machten wir zu Beginn alles selbst. Je mehr der Verein wuchs, desto komplexer wurden gewisse Aufgaben, sodass wir einiges professionalisiert haben. Eine fast grössere Herausforderung war es aber manchmal, unser Dasein zu rechtfertigen. Mir wurde mehrmals gesagt, dass ich an der Relevanz vorbeiziele und dass in unterversorgten Gebieten andere medizinische Angebote gefördert werden müssten. Dies muss ich aber entschieden ablehnen. Die epidemiologische Transition ist auch in Entwicklungsländern vielerorts vorbei, die nicht übertragbaren Krankheiten nehmen zu – und ein wichtiger Teil davon sind psychische Erkrankungen. Bis zu 90 Prozent der Menschen, die daran leiden, kommen nicht ansatzweise in Reichweite einer adäquaten Behandlung.

Für delta sind Sie und Ihre Schweizer Kolleginnen und Kollegen nicht klinisch tätig. Welches ist Ihre Rolle?

Einer unserer Erfolgsfaktoren ist die sogenannte duale Projektleitung. Das heisst, dass jedes Projekt sowohl von Fachpersonen von delta als auch von lokalen Partnern geleitet wird. Diese Projektpartner formulieren die Projekte selbst, was eine grosse lokale Eigenverantwortung garantiert. Abgesehen von der finanziellen Unterstützung helfen wir bei der Ausformulierung und der Organisation der Projekte und stellen die fachliche Qualität sicher.

Gibt es dabei auch Konflikte?

Es kommt immer mal wieder vor, dass wir nicht derselben Meinung sind. Dann gilt es zu schauen, wo beide Seiten ihre No-Gos haben, die man akzeptieren muss, und wo die Grauzonen liegen, über die man diskutieren kann. Ich habe gelernt, dass man manchmal etwas stehen lassen kann, das vielleicht nicht den Goldstandard erfüllt. Lieber ein Projekt, das nicht ganz perfekt ist, als gar keines.

Zur Person

Monika Müller hat sowohl einen Facharzttitel in der Psychiatrie als auch in Public Health erworben und ist in beiden Fachgebieten tätig: Als Leitende Ärztin in den Ambulanten Diensten der Luzerner Psychiatrie (lups) arbeitet sie klinisch, als Assistenzprofessorin an der Universität Luzern forscht sie zur psychiatrischen Versorgung insbesondere im Globalen Süden. 2011 gründete sie den gemeinnützigen Verein «delta – develop life through action». Dieser engagiert sich für eine fachgerechte Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in unterversorgten Gebieten im Globalen Süden.