• Forschung und Praxis

Werner-Syndrom – oder warum es wichtig ist, seltene Erkrankungen zu erforschen

Seltene Erkrankungen sind medizinische Raritäten, doch oft eröffnen sie einen neuen Blick auf grundlegende biologische Mechanismen. Das Werner-Syndrom ist hierfür ein eindrückliches Beispiel.

Veränderungen der DNA-Reparaturmechanismen spielen eine Schlüsselrolle bei seltenen Erkrankungen wie dem Werner-Syndrom. Bild: Adobe Stock / Vadym, generiert mit KI
Veränderungen der DNA-Reparaturmechanismen spielen eine Schlüsselrolle bei seltenen Erkrankungen wie dem Werner-Syndrom. Bild: Adobe Stock / Vadym, generiert mit KI

Das Werner-Syndrom (WS) ist eine Progerie, deren geschätzte Prävalenz im Bereich von 1:200 000 liegt [1]. Es entsteht durch Mutationen im WRN-Gen [2, 3] und führt zu vorzeitigem Altern, metabolischen Störungen und einer Neigung zur Entwicklung von malignen Erkrankungen. Ebenfalls tendieren WS-Patientinnen und -Patienten dazu, das myelodysplastische Syndrom (MDS) und akute myeloische Leukämie (AML) zu entwickeln [4]. Damit liefert WS wertvolle Erkenntnisse für die Hämatologie – weit über die kleine Patientengruppe hinaus.

Seltene Erkrankungen als Fenster in die Biologie

Seltene Erkrankungen sind für die Betroffenen mit erheblichen Belastungen verbunden. Gleichzeitig sind sie für die Medizin von grosser Bedeutung: Sie machen pathophysiologische Prozesse sichtbar, die in der Allgemeinbevölkerung verstreut und schwerer zu fassen sind.

Im Fall des Werner-Syndroms stehen DNA-Reparatur und Telomerbiologie im Zentrum. Die Erkrankung verdeutlicht, was geschieht, wenn zentrale Mechanismen der genomischen Stabilität nicht adäquat funktionieren [2, 7, 8] – Mechanismen, die auch bei häufigen, lebensbedrohlichen Erkrankungen wie MDS oder AML eine entscheidende Rolle spielen [5, 6].

Klinisches Bild des Werner-Syndroms

Das Werner-Syndrom gehört zu den segmentalen Progerien. Erste Symptome treten meist in der Adoleszenz oder im jungen Erwachsenenalter auf [3]. Typisch sind:

  • vorzeitiges Altern mit grauen Haaren, Hautatrophie und Ulzera,
  • Augenerkrankungen wie Katarakte,
  • metabolische Störungen (Diabetes mellitus, Dyslipidämien),
  • Osteoporose und Atherosklerose.

Besonders gravierend ist jedoch die Neigung zur Entwicklung von malignen Erkrankungen. Neben soliden Tumoren entwickeln Betroffene auch oft hämatologische Neoplasien [4].

Molekulare Grundlagen – WRN als Hüter der DNA

Die Ursache des Werner-Syndroms liegt in Mutationen des WRN-Gens, das für ein Protein mit kombinierter Helikase- und Exonuklease-Funktion kodiert [2]. WRN wirkt als «Hüter der genomischen Stabilität» und ist entscheidend für:

  • die Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen,
  • die Stabilisierung von Replikationsgabeln,
  • die Erhaltung telomerer DNA-Strukturen [7, 8].

Fehlt WRN, kommt es zu Replikationsstress, Reparaturfehlern und Telomerinstabilität. Diese Mechanismen erklären nicht nur die Symptome des Werner-Syndroms, sondern können auch eine Ursache für die Entwicklung myeloischer Neoplasien sein [2, 7].

Für WS-assoziierte Leukämien sind in der Literatur insbesondere TP53-Veränderungen (Mutationen oder Deletionen) beschrieben, die den Krankheitsverlauf beeinflussen können [4]. In der Allgemeinbevölkerung ist zudem gut belegt, dass PPM1D- und TP53-Mutationen nach Chemo- oder Radiotherapie selektioniert werden und wesentlich zur Entstehung von therapieassoziierten myeloischen Neoplasien (t-MN) beitragen [5, 6]. Der genaue Zusammenhang zum Werner-Syndrom ist jedoch noch unklar.

Forschungsagenda: drei zentrale Fragen

Das Werner-Syndrom macht Mechanismen sichtbar, die auch für die Entstehung von MDS und AML bedeutsam sind [2]. Drei wesentliche Forschungsfragen sind:

  1. Welche Mutationen treten beim Werner-Syndrom auf?
    Durch erweiterte Sequenzierungen sollen Mutationsmuster systematisch erfasst und mit klinischen Endpunkten korreliert werden.
  2. Wie beeinflusst WRN-Verlust die Hämatopoese?
    Maus- und Zellmodelle helfen, die direkten Folgen auf Blutbildung und DNA-Stabilität zu untersuchen [8].
  3. Wie wirken zusätzliche Mutationen?
    Ein Schwerpunkt liegt darauf, zu verstehen, wie zusätzliche genetische Veränderungen die Entwicklung von Blutzellen bei WS-Patientinnen und -Patienten beeinflussen [5, 6].

Bedeutung für die ärztliche Praxis

Die Auseinandersetzung mit seltenen Erkrankungen wie dem Werner-Syndrom ist weit mehr als eine rein akademische Fragestellung – sie eröffnet konkrete, praxisrelevante Perspektiven:

  • Risikostratifikation: Das Monitoring klonaler Hämatopoese (inkl. TP53 und PPM1D) könnte helfen, Patientinnen und Patienten, die nach einer Chemo- oder Radiotherapie ein erhöhtes Risiko für MDS und/oder AML haben, frühzeitig zu identifizieren [5, 6].
  • Therapieanpassung: Bei genetischer Instabilität könnte die Wahl von Therapieprotokollen oder adjuvanten Strategien (z. B. mTOR- oder p38-MAPK-Modulation) entscheidend sein, um DNA-Schäden zu begrenzen [2].
  • Translation: Erkenntnisse aus der Forschung zum Werner-Syndrom liefern universelle Prinzipien für Prävention und Therapie myeloischer Neoplasien – von der seltenen Erkrankung zurück in die breite Versorgung [4, 5].

Fazit

Das Werner-Syndrom ist weit mehr als ein Syndrom. Es ist eine seltene Erkrankung, die wertvolle Informationen über grundlegende biologische Prozesse vermittelt – insbesondere über Mechanismen der DNA-Stabilität und Hämatopoese. Indem wir seltene Erkrankungen ernst nehmen, gewinnen wir Einsichten, die nicht nur der betroffenen Patientengruppe helfen, sondern auch weit darüber hinausreichen. Seltene Erkrankungen sollten damit nicht nur Randnotizen der Medizin bleiben, sondern als wichtige Informationsquellen wahrgenommen werden: als Brücken zum Verständnis häufiger, lebensbedrohlicher Erkrankungen [2, 4].

Literatur (Auswahl)

  1. Lessel, D, Oshima, J und Kubisch, C. Werner-Syndrom: Eine prototypische Form der segmentalen Progerie. Med Genet. 2012 Dec;24(4):262–267. doi: 10.1007/s11825-012-0360-x. PMID: 25309043; PMCID: PMC4191733.
  2. Oshima J, Sidorova JM, Monnat RJ Jr. Werner Syndrome: Clinical Features, Pathogenesis and Potential Therapeutic Interventions. Ageing Res Rev. 2017;33:105–114.
  3. Takemoto M et al. Diagnostic criteria for Werner syndrome. Geriatr Gerontol Int. 2013;13:475–481.
  4. Lauper JM et al. Spectrum and risk of neoplasia in Werner syndrome: systematic review. PLoS One. 2013;8:e59709.
  5. McNerney ME, Godley LA, Le Beau MM. Therapy-related myeloid neoplasms: when genetics and environment collide. Nat Rev Cancer. 2017;17:513–527.
  6. Bolton KL et al. Clonal hematopoiesis and risk of acute myeloid leukemia. Nat Genet. 2019;51:765–774.
  7. Crabbé L et al. Defective telomere lagging strand synthesis in cells lacking WRN. Science. 2004;306:1951–1953.
  8. Sturzenegger A et al. DNA2 cooperates with WRN and BLM for efficient replication and DNA end resection. J Biol Chem. 2014;289:27314–27326.