• Fokus: Zukunft

Auf in die Zukunft: Was braucht die ärztliche Weiterbildung?

Dass bei der ärztlichen Weiterbildung momentan nicht alles perfekt läuft, streitet wohl niemand ab. Doch welche konkreten Verbesserungen sind nötig? Und wie könnte eine ideale Zukunft der Weiterbildung aussehen? Einige Antworten.

Eine offene Lernkultur, in der alle Beteiligten über ihre Fehler sprechen können, ist ein wichtiges Element in der ärztlichen Weiterbildung. Bild: Adobe Stock/IRStone
Eine offene Lernkultur, in der alle Beteiligten über ihre Fehler sprechen können, ist ein wichtiges Element in der ärztlichen Weiterbildung. Bild: Adobe Stock/IRStone

Mit der Einladung zu diesem Beitrag wurden mir vier Fragen gestellt. Angesichts der Breite der Thematik beschränke ich meine Gedanken auf diese konkreten Fragen.

Warum erscheint die Vorstellung einer optimalen Weiterbildung aktuell oft noch utopisch?

Statt von Utopie würde ich eher von einem Ideal sprechen – aber auch davon sind wir weit entfernt. Die Gründe liegen aus meiner Erfahrung nicht in der Motivation, denn die meisten Oberärztinnen und -ärzte haben Spass am Teaching. Nur wissen sie häufig nicht, wie sich effektives Teaching mit einfachen Mitteln in den komplexen Alltag integrieren lässt. Leider gibt es im Verlauf der Aus- und Weiterbildung kaum Formate, in denen Unterrichten vermittelt wird – obwohl die Weitergabe von Wissen eine ärztliche Kernaufgabe ist [1].

Eine weitere Belastung für die Weiterbildung liegt in der immer weiter zunehmenden Komplexität der Medizin. Leider erhöhen wir Ärztinnen und Ärzte diese Komplexität selbst aktiv, z. B. durch defensive Diagnostik- und Therapiemuster, und machen lieber noch die eine oder andere Zusatzuntersuchung, bevor wir konkret handeln. Die Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz wird dieses Problem wohl eher noch verstärken. Es braucht daher unbedingt eine aktive Reduktion von Komplexität und «Cognitive Load». Leider ist es schwer, die jeweils erreichten Resultate sichtbar zu machen, weil das Ergebnis weniger komplex ist als die Ausgangssituation. Folglich bekommen die Personen, die die Komplexität vermindert haben, keine ausreichende Wertschätzung für ihre Leistung.

Und schliesslich sind die aktuellen Weiterbildungsprogramme zu statisch. Für die fachärztliche Qualifikation werden derzeit nur Anzahlen von Prozeduren, absolvierte Weiterbildungsjahre im Fach und theoretisches Faktenwissen gefordert. Damit wird über die tatsächliche Berufskompetenz keine verlässliche Aussage getroffen.

Inwiefern müsste die ärztliche Weiterbildung optimiert werden, um zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden?

Das Schweizerische Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF) unternimmt derzeit grosse Anstrengungen zur Verbesserung der Weiterbildung.

Ein zentraler Aspekt ist die konsequente Umsetzung der «kompetenzbasierten Weiterbildung» [2]. Diese beinhaltet zwei Prinzipien:

  • (a) Das Ziel der Weiterbildung soll über die tatsächlich zu bewältigenden Aufgaben (professional activities) definiert werden.
  • (b) Die tatsächlich beobachtete Kompetenz soll als Qualifikationskriterium zählen (und nicht die puren Zahlen an Prozeduren oder die im Fach verbrachte Zeit).

Ein weiterer zentraler Aspekt zur Optimierung der ärztlichen Weiterbildung betrifft die Lernkultur. In einer offenen Lernkultur, in der alle Beteiligten Fehler zugeben und kommunizieren können und in der ein authentisches «Speak-up» erwünscht ist, ist eine konstruktive Entwicklung möglich. Die Forschung zeigt klar, dass sich Trainees nur unter solchen Bedingungen aktiv Feedback einholen. In diesem Zusammenhang braucht es von beiden Seiten, den Trainees und den Oberärztinnen und -ärzten, eine Grundhaltung, die Wachstum ermöglichen will. Aus der Psychotherapie ist das Konzept der «Therapeutischen Allianz» als hochwirksamer Wirkfaktor bekannt. Dieses Konzept kann als «Educational Alliance» auf die Weiterbildung übertragen werden [3]. Es besagt, dass es für eine gute Weiterbildung einen aktiven Beitrag von beiden Seiten geben muss, bei dem Ziele, Aufgaben und Rollen (Beziehungen) klar kommuniziert sein müssen.

Ein dritter zentraler Aspekt ist die Verbesserung der Teaching-Kompetenzen. Dafür braucht es kein spezielles Studium mit aufwendiger Lerntheorie, sondern einfache und praktisch einsetzbare Tools, die den Bedürfnissen im Spital genügen. Das SIWF hat dafür ein Teach-the-Teacher-Programm für Kaderärztinnen und -ärzte etabliert [4]. Dieses Training wird zertifiziert und in naher Zukunft mit einem nationalen Qualitätslabel «Medical Education» kenntlich gemacht. Es ist geplant, dann nur noch Weiterbildungsstätten zu akkreditieren, in denen mindestens eine entsprechend qualifizierte Person aktiv ist. Ein wichtiges Thema des Teach-the-Teacher-Programms ist die Grundhaltung dazu, wie sich die Entwicklung der Trainees am besten unterstützen lässt. Dazu hilft das Prinzip des Anvertrauens von Aufgaben zur selbstständigen Erledigung (Entrustable Professional Activities, EPAs) [5]. Durch EPAs wird es für Trainees und Supervisierende klarer, welche Tätigkeiten am Ende der Weiterbildung selbstständig gemeistert werden müssen und wie viel Supervisionsbedarf für die jeweilige Tätigkeit noch besteht.

Welche strukturellen oder inhaltlichen Veränderungen sind notwendig, um den Bedürfnissen der nächsten Generation von Ärztinnen und Ärzten gerecht zu werden?

Strukturelle Anpassungen wurden bereits oben angesprochen. Ebenso wichtig sind inhaltliche Aspekte. In den Teach-the-Teacher-Workshops tönt häufig an, dass Oberärztinnen und -ärzte die Haltung einiger Assistenzärztinnen und -ärzte als passiv wahrnehmen [6]. Wir brauchen aber speziell die Expertise der jüngeren Generation, um gute Lösungen zu finden, wie die Vielschichtigkeit unseres Arbeitsumfelds austariert werden kann. Ein plakatives Beispiel mag die reduzierte (aber verdichtete) persönliche Arbeitszeit sein, die naturgemäss mehr und differenzierte Übergaben notwendig macht. Vermehrte Übergaben erhöhen aber den Personalaufwand und sind gleichzeitig ein Risiko für die Patientensicherheit. Gut möglich, dass eine Generation von Ärztinnen und Ärzten, die ohne Smartphone und Internet Medizin studiert hat, dafür keine passenden Lösungsmöglichkeiten mehr weiss.

Eine weitere Veränderung muss bei den nicht ärztlichen Arbeiten erfolgen. Viele administrative Arbeiten sind kontraproduktiv – oft, weil zu viele Parteien involviert sind. Durch – insbesondere interprofessionelle – Verlagerungen könnten diese Prozesse vereinfacht werden. Entsprechend muss die Reduktion von Komplexität grössere Bedeutung bekommen. Es müsste als Mehrwert anerkannt werden, dass weniger oft mehr ist. Hilfreich dafür wäre auch die konsequente Vermittlung aller CanMEDS-Rollen (nicht nur «Medical Expert») [1].

Welche Visionen oder zukünftigen Entwicklungen könnten helfen, diese Utopie Realität werden zu lassen?

Im Kern müssen wir die Educational Alliance stärken. Neben der Qualifizierung der Kaderärztinnen und -ärzte bedeutet das eine breitere Verantwortung der Assistenzärztinnen und -ärzte, z. B. beim Einholen von effektivem Feedback oder beim Entwickeln eines «Growth Mindset» [7]. Ähnlich wie Teaching-Kompetenzen lassen sich auch Learning-Kompetenzen erwerben. Vielleicht braucht es in Zukunft solche Workshops?

Die Educational Alliance kann auch technologisch unterstützt werden, indem z. B. Smartphone-basierte Feedbacksysteme zur Dokumentation von Assessments und zum Ausweisen von Kompetenzprofilen genutzt werden [8, 9]. Dadurch wird auch für die Supervisierenden erkennbar, für welche Aufgaben jemand bereits eingesetzt werden kann bzw. wo er oder sie noch Trainingsbedarf hat.

Entscheidend sollte sein, dass Lösungen gemeinschaftlich entwickelt werden, denn als Assistenz- und Kaderärztinnen und -ärzte haben wir letztlich sehr ähnliche berufliche Werte. Niemand von uns geht morgens ins Spital, um an dem Tag möglichst vielen Patientinnen und Patienten zu schaden.

Literatur

  1. Frank JR, Snell L, Sherbino J, editors. CanMEDS 2015 Physician Competency Framework. Ottawa: Royal College of Physicians and Surgeons of Canada; 2015.
  2. Breckwoldt J, Brodmann Maeder M. [Competency Based Education – an introduction]. Schweiz Ärzteztg. 2022;103:170–3.
  3. Telio S, Ajjawi R, Regehr G. The educational alliance as a framework for reconceptualizing feedback in medical education. Acad Med. 2015;90:609–14.
  4. Meienberg A, Brodmann Maeder M, Bauer W, Breckwoldt J. Design, development and implementation of a national faculty development program to promote CBME in graduate medical education in Switzerland. GMS J Med Educ 2024; 41:Doc61.
  5. Breckwoldt J, Beckers S, Breuer G, Marty A. Entrustable professional activities: ein zukunftsweisendes Konzept für die ärztliche Weiterbildung. Anaesthesist. 2018;67:452–7.
  6. Heuss SC, Zimmerli L, Schneeberger AR. How do physicians from two generations communicate with each other? Cogent Social Sciences, 2022;8:1,2095745,
  7. Richardson D, Kinnear, B, Hauer KE, Turner TL, Warm EJ, Hall AK & ICBME Collaborators. Growth mindset in competency-based medical education. Medical Teacher 2021; 43:751–7.
  8. Marty AP, Braun J, Schick C, Zalunardo MP, Spahn DR, Breckwoldt J.A mobile application to facilitate implementation of programmatic assessment in anaesthesia training. Br J Anaesth. 2022;128:990–6.
  9. Marty AP, Linsenmeyer M, George B, Young JQ, Breckwoldt J, Ten Cate O. Mobile technologies to support workplace-based assessment for entrustment decisions: guidelines for programs and educators: AMEE Guide No. 154. Medical Teacher. 2023;45:1203–13.